Leitsatz (amtlich)
1. Inhaberschuldverschreibungen sind aus wichtigem Grund gem. § 314 BGB kündbar, wenn die Anleihebedingungen keine Kündigungsrechte vorsehen. Das Schuldverschreibungsgesetz (SchVG a.F. 1899 und SchVG 2009) schließt eine Kündigung aus wichtigem Grund nicht aus.
2. Die Ausübung des Kündigungsrechts kann nach dem Schuldverschreibungsgesetz (SchVG a.F. 1899 und SchVG 2009) zeitlich begrenzt sein. Wird die Kündigung vor der beschlussfähigen Gläubigerversammlung (§ 15 Abs. 3 SchVG 2009) ausgesprochen, in der der Verzicht auf Forderungen und Kündigungsrechte der Gläubiger als Bestandteil eines Restrukturierungs- und Sanierungskonzepts zur Abwendung der Insolvenz beschlossen werden soll, erfolgt die Kündigung zur Unzeit und ist unwirksam. Es gilt das Primat der Gläubigerversammlung als Leitbild des Schuldverschreibungsgesetzes.
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 16.01.2012; Aktenzeichen 30 O 538/10) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten und die Berufung und Anschlussberufung der Kläger wird das Urteil des LG Köln vom 26.01.2012 - 30 O 538/10 - abgeändert und unter Zurückweisung der Berufungen und der Anschlussberufung im Übrigen wie folgt neu gefasst:
1. Die Forderung des Klägers zu 1) in Höhe von 680.000 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 1 % p.a. vom 01.07.2012 bis 28.09.2012 aus 332.000 EUR sowie in Höhe von 1 % Zinsen p.a. für die Zeit vom 16.11.2011 bis 28.09.2012 aus 348.000 EUR wird für den Ausfall zur Insolvenztabelle im Insolvenzverfahren über das Vermögen der E GmbH (AG Köln - 71 IN 354/12) zur laufenden Nummer 20 festgestellt;
2. Die Forderung des Klägers zu 2) in Höhe von 70.000 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 1 % p.a. für die Zeit vom 01.07.2012 bis 28.09.2012 wird für den Ausfall zur Insolvenztabelle im Insolvenzverfahren über das Vermögen der E GmbH (AG Köln - 71 IN 354/12) zur laufenden Nummer 21 festgestellt.
3. Es wird festgestellt, dass die von den Klägern unter dem 08.09.2010 ausgesprochene Kündigung unwirksam ist.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages erbringt.
7. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über Ansprüche auf Rückzahlung von Anleihen nach erklärter Kündigung aus wichtigem Grund. Der Beklagte ist - nachdem das Verfahren aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der E GmbH (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) mit Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 28.09.2012, Az. 71 IN 354/12 zwischenzeitlich unterbrochen gewesen ist, weil die ursprüngliche Beklagte Insolvenz angemeldet hat - nunmehr als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin Partei des Rechtsstreits geworden.
Die Insolvenzschuldnerin ist ein Immobilienunternehmen, das sich auf den Erwerb, die Vermietung, die Entwicklung und das Bestandsmanagement vermieteter Einzelhandelsimmobilien spezialisiert hat.
Der Kläger zu 1) erwarb in den Jahren 2005 und 2006 332 Anleihen im Nennwert von 332.000 EUR einer so genannten "zweiten Tranche" und 348 Anleihen der so genannten "dritten Tranche" im Nennwert von 348.000 EUR, die jeweils von der Insolvenzschuldnerin ausgegeben worden waren. Anleihen der "zweiten Tranche" im Nennwert von 70.000 EUR übertrug der Kläger zu 1) im Wege der Schenkung an seinen Sohn, den Kläger zu 2). Die Schuldverschreibungen sollten nach den Anleihebedingungen mit 6 % jährlich verzinst werden. Die Zinsen waren hinsichtlich der so genannten "zweiten Tranche" am 01.07. eines jeden Jahres und die der "dritten Tranche" am 16.11. eines jeden Jahres fällig. Die Tranchen waren nach den Anleihebedingungen am 30.06.2016 bzw. am 16.11.2016 zur Rückzahlung in Höhe des Nennwerts fällig.
Unter § 4 der Anleihebedingungen der "zweiten Tranche" wird unter der Überschrift "Laufzeit, Rückzahlung, Rückerwerb, Kündigung, Übertragung" folgendes ausgeführt:
"1. Die Laufzeit der Hypotheken-Anleihe beginnt am 01.07.2006 und endet am 30.06.2016.
2. Die Gesellschaft verpflichtet sich, die Teilschuldverschreibungen am 01.07.2016 zum Nennbetrag zurückzuzahlen. Fällt dieser Fälligkeitstermin auf einen Sonnabend, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, verschiebt sich der Fälligkeitstag auf den nächstfolgenden Bankarbeitstag.
3. Die Gesellschaft ist jederzeit berechtigt, Teilschuldverschreibungen aus dieser Emission im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zurück zu erwerben. Die angekauften Schuldverschreibungen kann die Gesellschaft nach eigener Wahl halten oder weiterverkaufen.
4. Die Gesellschaft ist berechtigt, die Schuldverschreibungen insgesamt oder teilweise ab dem 30.09.2009 jeweils am ersten Tag eines Kalendermonats ("Rückzahlungstag") zum Nennbetrag einschließlich der bis...