Entscheidungsstichwort (Thema)
"In-House-Geschäft"
Leitsatz (amtlich)
1. Die Grundsätze der Befreiung eines Versicherers von den Vergabevorschriften der §§ 97 ff. GWB bei enger organisatorischer oder wirtschaftlicher Verflechtung mit den Versicherungsnehmern (sog. "In-House Geschäfte") greifen nicht, wenn stimmberechtigte Mitglieder des Versicherers satzungsgemäß auch wirtschaftliche Vereinigungen sein können, die sich bis zu 50 % in privater Hand befinden.
2. Die Vergabevorschriften der §§ 97 ff. GWB sind auch dazu bestimmt, i.S.d. § 4 Nr. 11 UWG im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.
3. Die in § 87 GWB getroffene Zuständigkeitsregelung gilt nicht bei Rechtsstreitigkeiten, die sich aus den Vergabebestimmungen der §§ 97 ff. GWB ergeben.
Normenkette
UWG §§ 3, 4 Nr. 11; GWB §§ 87, 97-98, 101; VergabeVO §§ 2, 4
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 21.10.2004; Aktenzeichen 31 O 186/04) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 21.10.2004 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des LG Köln - 31 O 186/04 - abgeändert und im Hauptausspruch wie folgt neu gefasst:
Dem Beklagten wird es unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen, vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, diese zu vollstrecken an den Mitgliedern seines Vorstandes, untersagt, ohne vorherige Ausschreibung Versicherungsverträge mit öffentlichen Auftraggebern abzuschließen, durch die die EU-Schwellenwerte überschritten werden.
2. Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen hat der Beklagte zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann jedoch die Vollstreckung des Unterlassungstitels durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 75.000 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Im Übrigen kann der Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien sind Wettbewerber bei der Vergabe von Sachversicherungen durch die öffentliche Hand. Der Beklagte ist ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, dessen Zweck es gem. § 2 Abs. 1 seiner Satzung ist, seinen Mitgliedern durch den unmittelbaren Betrieb bestimmter Sachversicherungen Versicherungsschutz zu gewähren. Mitglieder des Beklagten können die in § 4 Abs. 1 der Satzung aufgeführten öffentlich-rechtlichen Einrichtungen sowie wirtschaftliche Vereinigungen werden, wenn sich mindestens 50 % ihres Kapitals in öffentlicher Hand befinden. Der Beklagte schließt Versicherungsverträge, auch wenn sie den gem. § 2 Ziff. 3 der Vergabeverordnung (im Folgenden: "VgV") bestehenden Schwellenwert von 200.000 EUR übersteigen, ohne vorherige Ausschreibung mit öffentlichen Auftraggebern ab. Er sieht sich als hierzu berechtigt an, weil bei dem als sog. "In-House Geschäft" zu wertenden Abschluss der Verträge wegen seiner engen Beziehung zu den Auftraggebern die Einhaltung der Vergabevorschriften nicht geboten sei.
Die Klägerin sieht die Voraussetzungen von "In-House Geschäften" als nicht gegeben an. Sie hat in erster Instanz beantragt, dem Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu untersagen, mit öffentlichen Auftraggebern Versicherungsverträge ab Erreichen der EU-Schwellenwerte ohne vorherige Ausschreibung abzuschließen.
Bezüglich eines zunächst angekündigten weiteren Antrages, der ein Rundschreiben des Beklagten zum Gegenstand hatte, in dem dieser das Verfahren als "europafest" bezeichnet hatte, haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt, nachdem der Beklagte eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hatte.
Der Beklagte hat die Zuständigkeit des LG in Abrede gestellt und sich im Übrigen zu der beanstandeten Vorgehensweise für berechtigt erklärt, weil die Voraussetzungen eines "In-House"-Geschäftes vorlägen.
Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, unter Zugrundelegung der jüngeren, die Haftung des bloßen Störers begrenzenden Rechtsprechung müsse der Beklagte auch bei einem unterstellten Verstoß gegen die Vergabevorschriften durch die Auftraggeber für diesen nicht einstehen.
Im Berufungsverfahren verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Klageantrag, soweit dieser nicht erledigt ist, weiter. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und stützt sich ergänzend auf die Entscheidung der ersten Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 11.1.2005 in der Rechtssache C-26/03 (EuGH v. 11.1.2005 - C-26/03).
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Er meint, die erwähnte BGH-Entscheidung betreffe nicht die im vorliegenden Verfahren gegebene Fallgestaltung und dürfe zudem aus verfahrensrechtlichen Gründen im Berufungsrechtszug ...