Leitsatz (amtlich)
1. Ist die Ehe türkischer Eheleute wegen Zerrüttung gem. Art. 134 türk. ZGB (in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung) geschieden worden und enthält der in Rechtskraft erwachsene Scheidungsausspruch keinerlei Feststellungen zum Verschulden eines oder beider Ehegatten, dann ist der Streit über die Verschuldensfrage im Rahmen des Bedürftigkeitsunterhalts gem. Art. 144 türk. ZGB hierdurch nicht für die Rechtsmittelinstanz präkludiert, wenn das Verbundurteil nur hinsichtlich des nachehelichen Unterhalts mit der Berufung angefochten wird.
2. Art. 144 türk. ZGB (in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung) legt jedenfalls dann keinen lediglich auf das Existenzminimum beschränkten Unterhaltsanspruch fest, wenn der Lebensmittelpunkt der türkischen Eheleute sich seit längerem in Deutschland befindet und eine Rückkehr in die Türkei auch nach der Scheidung nicht ansteht.
Normenkette
Türk. ZGB Art. 134; Türk. ZGB Art. 144
Verfahrensgang
AG Brühl (Aktenzeichen 32 F 496/99) |
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des AG–FamG – Brühl vom 11.7.2001 (32 F 496/99), berichtigt durch Beschluss des AG vom 23.7.2001 (gl. Az.), hinsichtlich des Ausspruchs zum nachehelichen Unterhalt unter III. des Urteilstenors unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insoweit wie folgt neu gefasst:
Der Antragsteller wird verurteilt, an die Antragsgegnerin ab Rechtskraft der Ehescheidung einen nachehelichen Unterhalt i.H.v. monatlich 601 DM, für Dezember 2001 i.H.v. 112 DM und ab Januar 2002 i.H.v. monatlich 41 Euro zu zahlen; i.Ü. bleibt die Klage abgewiesen.
Die hiernach vom Antragsteller zu erbringenden Unterhaltsleistungen sind jeweils monatlich im Voraus bis zum dritten Werktag eines jeden Monats fällig.
Hinsichtlich der erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits verbleibt es bei der Kostenentscheidung im angefochtenen Urteil.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 15 % dem Antragsteller und zu 85 % der Antragsgegnerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin ist zu einem geringen Teil begründet. Zu Unrecht hat das AG mit dem angefochtenen Verbundurteil die auf Zahlung nachehelichen Unterhalts gerichtete Klage der Antragsgegnerin in vollem Umfang abgewiesen. Denn der Antragsteller ist aufgrund des gem. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1, Art. 17 Abs. 1 S. 1, Art. 18 Abs. 4 S. 1 EGBGB anwendbaren türkischen Sachrechts verpflichtet, an die Antragsgegnerin ab dem Tage der Rechtskraft der Ehescheidung (23.11.2001) Unterhalt nach Art. 144 des bis zum 31.12.2001 geltenden türk. ZGB in der tenorierten Höhe zu zahlen. Nur hinsichtlich des weiter gehenden Unterhaltsbegehrens bleibt die Klage auch in der Berufungsinstanz ohne Erfolg.
Im Ausgangspunkt zutreffend ist das AG davon ausgegangen, dass der Anspruch der Antragsgegnerin auf Zahlung von Nachscheidungsunterhalt sich nach Art. 144 türk. ZGB in der bis zum 31.12.2001 maßgeblichen Fassung richtet. gem. Art. 17 Abs. 1 S. 1 EGBGB unterliegt die Scheidung dem Recht, das im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags für die allgemeinen Wirkungen der Ehe maßgebend ist. Das ist hier das türkische Recht, weil beide Parteien türkische Staatsangehörige sind (Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB). Das so berufene Scheidungsstatut regelt nach Art. 18 Abs. 4 S. 1 EGBGB auch die Unterhaltspflichten zwischen den geschiedenen Ehegatten. Eine Rückverweisung auf das deutsche Recht oder eine Weiterverweisung (Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB) kommen nicht in Betracht, weil das türkische Recht die Verweisung durch das deutsche Recht annimmt; denn Art. 13 Abs. 1 des türk. Gesetzes Nr. 2675 über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht bestimmt, dass – u.a. – die Folgen der Scheidung dem gemeinsamen türkischen Heimatrecht der Ehegatten unterliegen. Soweit in der Türkei mit Wirkung vom 1.1.2002 ein neues Zivilgesetzbuch (Gesetz Nr. 4721) in Kraft getreten und das bisher geltende ZGB aufgehoben worden ist (vgl. dazu insb. S, StAZ 2002, 97 ff.), gilt im Streitfall weiterhin das bisherige Recht, weil – wie auch der Sachverständige Dr. S. in seinem Rechtsgutachten vom 21.10.2002 unter Hinweis auf Art. 1, 9 des Einführungsgesetzes zum neuen türk. ZGB ausgeführt hat – die Scheidung, aufgrund deren die Antragsgegnerin Unterhalt begehrt, vor dem 1.1.2002 rechtskräftig und die Unterhaltsklage ebenfalls vor diesem Datum erhoben worden ist. Unabhängig davon dürfte mit dem neuen türk. ZGB, das den nachehelichen Bedürftigkeitsunterhalt nunmehr in dem – von Art. 144 des bisherigen ZGB in einem Teilaspekt abweichenden – Art. 175 regelt, jedenfalls hinsichtlich der im Streitfall erheblichen Fragestellungen keine wesentliche Änderung der Rechtslage verbunden sein.
Nach Art. 144 des bisherigen türk. ZGB (im folgenden: ZGB) kann der Ehegatte, der durch die Scheidung in Bedürftigkeit geraten würde, für seinen Lebensunterhalt unter der Voraussetzung, dass sein Verschulden nicht überwiegt, vom anderen Ehegat...