Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung im Haftungsprozess gegen eine Unfallklinik: Spekulation über ein mögliches Mitverschulden des Klägers in einem richterlichen Hinweis vor der Erwiderung auf eine Klage wegen eines Therapieunfalls als Befangenheitsgrund

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Partei kann einen Richter nicht mehr wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Die schriftliche Stellungnahme des Klägers auf einen richterlichen Hinweis vor Eingang der Klageerwiderung stellt keine Einlassung in eine Verhandlung dar, wenn der abgelehnte Richter das Verfahren noch nicht übernommen hatte, und demzufolge auch die Verfahrensweise noch nicht bestimmt worden war.

2. Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass ein Richter zur Beschleunigung des Verfahrens vor Eingang der Klageerwiderung Hinweise z.B. zur Schlüssigkeit und Zulässigkeit der Klage erteilt, soweit ein sachlicher Grund für die Hinweise besteht. Jedoch gebietet es das richterliche Neutralitätsgebot, sich jeglicher Hinweise zu enthalten, die mögliche und denkbare Einwendungen und Verteidigungsvorbringen der Gegenseite vorwegnimmt; die Hinweise müssen insoweit dem jeweiligen Stand des Verfahrens angepasst sein.

3. Trägt der Kläger vor, er habe sich bei einem Unfall im Rahmen eines Therapiespiels einer psychosomatischen Behandlung trotz weisungsgemäßen Verhaltens verletzt, so begründet ein vor Übernahme des Verfahrens und Eingang der Klageerwiderung erteilter Hinweis des Richters, in dem er zu erkennen gibt, dass er ein mögliches Mitverschulden des Klägers für denkbar hält, weil dieser die von ihm behauptete Verletzung durch "eigene Ungeschicklichkeit oder übergroße Risikobereitschaft" mitverursacht haben könnte, aus der Sicht des Klägers die Besorgnis der Unparteilichkeit des Richters.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1; ZPO § 42

 

Verfahrensgang

LG Landshut (Beschluss vom 11.07.2011)

 

Tenor

Der Beschluss des LG Landshut vom 11.7.2011 wird aufgehoben. Das Ablehnungsgesuch des Klägervertreters vom 6.7.2011, betreffend den Vizepräsidenten des LG ..., wird für begründet erklärt.

 

Gründe

I. Der Kläger reichte am 7.2.2011 beim LG Landshut eine Klage gegen den Insolvenzverwalter der Unfallklinik R. GmbH & Co. KG und gegen eine in der Klinik beschäftigte Therapeutin ein. Mit der Klage begehrte der Kläger Schadensersatz wegen einer Verletzung, die er sich während eines Therapiespieles zugezogen hatte.

Beim LG wurde der Rechtsstreit zunächst der 7. Zivilkammer zugewiesen.

Mit Verfügung vom 18.2.2011 bat die Einzelrichterin der 7. Zivilkammer den Vorsitzenden der 4. Zivilkammer um Übernahme des Verfahrens.

Der abgelehnte Vorsitzende Richter behielt sich mit Verfügung vom 22.2.2011 die Übernahme des Rechtsstreits als Arzthaftungssache vor. Unter Ziff. 2 der Verfügung heißt es weiter:

Der Klägervertreter wird aufgefordert, binnen 10 Tagen mitzuteilen, ob sich der Vorwurf auf die Durchführung des Therapiespiels am Unfallort beschränkt, oder ob der Vorwurf sich auch auf das Nichterkennen der tatsächlichen Verletzung durch den Klinikarzt erstreckt. Sollte sich der Vorwurf auch auf die möglicherweise falsche Diagnose beziehen, dann möge mitgeteilt werden, welcher medizinischen Fachrichtung dieser Klinikarzt angehört. Sollte man zu dem Ergebnis kommen, dass ein Fehlverhalten der Kliniken und des Klinikarztes vorliegt, dann stellt sich die Frage des Mitverschuldens. Dies gilt vor allem für die Tatsache, dass der Kläger, der unmittelbar nach dem Unfall am 14.4.2010 heftige Schmerzen gehabt haben soll, trotz anhaltender Beschwerden bis zum 05.05. gewartet hat, eine genaue Untersuchung durchführen zu lassen. Ferner stellt sich die Frage, wie sich der Kläger selbst bei dem Therapiespiel verhalten hat. Es ist denkbar, dass der Kläger die von ihm behauptete Verletzung durch eigene Ungeschicklichkeit oder durch übergroße Risikobereitschaft mitverursacht hat. Soweit es die Beklagte zu 2 als Mitspielerin anbelangt, werden wohl die Grundsätze anzuwenden sein, die bei Sportunfällen gelten.

Mit Schriftsatz vom 11.3.2011 erklärte der Klägervertreter, dass sowohl vertragliche als auch deliktische Ansprüche geltend gemacht werden und der Kläger zur Kenntnis nehme, dass in der gerichtlichen Verfügung, noch bevor eine Klageerwiderung vorliege, ein Mitverschulden thematisiert werde. U. a. führte der Klägervertreter aus:

Klargestellt wird nochmals, dass der Kläger im Rahmen des Therapiespiels auf Weisung handelte. Wie in der Klageschrift ausgeführt, handelt es sich bei den Vorgaben, sich durch Flucht demjenigen zu entziehen, der das Stoffschwänzchen zu rauben hatte, um ausdrückliche Anweisungen der Beklagten zu 2).

Nach Eingang dieser Stellungnahme übernahm die 4. Zivilkammer des LG Landshut das Verfahren. Der abgelehnte Vorsitzende Richter ordnete die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens an.

Die Klageerwiderung ging am 17.5.2011 ein.

Mit Schriftsatz vom 26....

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