Leitsatz (amtlich)

1. Der Vollzug von Abschiebehaft ist nur zulässig, wenn noch Erfolg versprechende Möglichkeiten zur Abschiebung bestehen. Eine solche Erfolg versprechende Möglichkeit liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die einzige Möglichkeit zur Identifizierung des Betroffenen in seiner wiederholten Vorführung bei der Vertretung des möglichen Heimatlandes besteht, die seine Rücknahme ohne neue Sachbeweise bereits einmal abgelehnt hat und neue Sachbeweise nicht vorliegen und auch nicht zu beschaffen sind.

2. Die Ausländerbehörde als Herrin des Verfahrens in Abschiebungshaftsachen muss auch bei Einschaltung anderer Behörden organisatorisch sicherstellen, dass Mitteilungen, die den weiteren Vollzug der Abschiebungshaft berühren können, ihr unverzüglich zugeleitet werden.

3. Der Antrag, die Rechtswidrigkeit einer der richterlichen Haftanordnung vorausgehenden behördlichen Ingewahrsamnahme festzustellen, begründet einen selbständigen Verfahrensgegenstand i.S.d. § 13 Abs. 2 FreihEntzG, über den erstinstanzlich das AG zu entscheiden hat. Es bleibt offen, ob der Betroffene seine sofortige Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Haftanordnung mit einem solchen Feststellungsantrag verbinden kann mit der Folge, dass dann das LG auch über den erstmals bei ihm gestellten Feststellungsantrag entscheiden kann.

 

Normenkette

AufenthG § 62 Abs. 2; FreihEntzG § 13 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Kempten (Beschluss vom 10.02.2006; Aktenzeichen 41 T 189/06)

AG Kempten (Aktenzeichen 2-XIV 15/06)

 

Tenor

I. Der Beschluss des LG Kempten (Allgäu) vom 10.2.2006 wird in Ziff. I aufgehoben, soweit die Hauptsache nicht erledigt ist.

II. Das Verfahren wird zur Behandlung und Entscheidung über den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit von Festnahme und Ingewahrsamnahme des Betroffenen vom 16.1. bis zum Zeitpunkt der Haftanordnung am 17.1.2006 an das AG Kempten (Allgäu) zurückverwiesen.

III. Im Übrigen wird das Verfahren im Umfang der Aufhebung zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG Kempten (Allgäu) zurückverwiesen.

IV. Dem Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt Christoph von Plata/Kanzlei VPMK, Monbijouplatz 3a, 10178 Berlin, beigeordnet.

 

Gründe

I. Die Ausländerbehörde betreibt die Abschiebung des Betroffenen, eines vermutlich sudanesischen oder nigerianischen Staatsangehörigen. Der Betroffene reiste eigenen Angaben zufolge Anfang November 2003 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 12.11.2003 einen Asylantrag, der vom zuständigen Bundesamt als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Der Bescheid ist seit 3.12.2003 bestandskräftig. Seitdem ist der Betroffene vollziehbar zur Ausreise verpflichtet. Zu einem unbekannten Zeitpunkt reiste er illegal nach Österreich und stellte dort unter Alias-Personalien erneut einen Asylantrag. Am 2.3.2004 wurde er nach Deutschland rücküberstellt und bis 5.5.2004 in Abschiebungshaft genommen. Nach seiner Entlassung erhielt er befristete Duldungen, zuletzt bis 15.1.2006. Nach einer Vorführung bei der sudanesischen Botschaft am 28.9.2004 erklärte diese, dass es sich bei dem Betroffenen nicht um einen Staatsbürger der Republik Sudan handele.

Der Aufenthalt des Betroffenen war beschränkt auf die Stadt K. Im Zeitraum vom 16.12.2004 bis 26.4.2005 wurde er insgesamt siebenmal ohne behördliche Genehmigung außerhalb des ihm zugewiesenen Aufenthaltsbereichs aufgegriffen. Seit dem 22.12.2005 war er gar nicht mehr in der ihm zugewiesenen Unterkunft aufhältlich. Er wurde daraufhin am 16.1.2006 von der Ausländerbehörde zur Festnahme ausgeschrieben und noch am selben Tag von der Polizei festgenommen, als er eine Bescheinigung über eine weitere Duldung bei der Ausländerbehörde abholen wollte.

Mit Beschluss vom 17.1.2006 hat das AG gegen den Betroffenen Abschiebungshaft für die Dauer von höchstens drei Monaten mit sofortiger Wirksamkeit angeordnet. Dagegen hat der Betroffene beim AG sofortige Beschwerde eingelegt und zugleich beantragt, festzustellen, dass seine Festnahme und Ingewahrsamnahme vom Zeitpunkt der Festnahme bis zum Zeitpunkt der Anordnung der Haft durch das AG rechtswidrig waren. Das AG hat diesen Antrag, ohne über ihn zu entscheiden, mit der sofortigen Beschwerde dem LG vorgelegt. Dieses hat mit Beschluss vom 10.2.2006 die sofortige Beschwerde und in den Gründen der Entscheidung (unter IV.) die beantragte Feststellung als unbegründet zurückgewiesen. Zugleich hat es die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ebenso versagt wie die beantragte Feststellung, dass die Staatskasse verpflichtet ist, die Auslagen des Verfahrensbevollmächtigten zu erstatten, die diesem durch Hinzuziehung eines Englisch-Dolmetschers zu einem Gespräch mit dem Betroffenen entstünden. Gegen diese Entscheidung richtete sich ursprünglich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 21.2.2006.

Am 18.1.2006 wurde der Betroffene der nigerianischen Vertretung zur Feststellung seiner Staatsangehörigkeit vorgeführt. Der Vertreter d...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge