Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlende Feststellungen zum Mindestschuldumfang in Betäubungsmittelverfahren [Haschisch]. Entbehrlichkeit ausschließlich bei Anwendung des § 29 Abs. 5 BtMG
Leitsatz (redaktionell)
1. a) Neben der Menge des Betäubungsmittels, auf die sich die Tat bezieht, spielt insbesondere dessen Qualität eine wesentliche Rolle für die Strafzumessung. Für den Schuldumfang ist entscheidend, welche betäubungsmittelrelevanten Wirkstoffmengen sich jeweils im verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittelgemisch befunden haben.
b) Der Tatrichter hat deshalb entweder konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt zu treffen oder von der für den Angeklagten günstigsten Qualität auszugehen, die nach den Umständen in Betracht kommt. Auch wenn eine Wirkstoffbestimmung nicht (mehr) möglich ist, darf der Tatrichter die Frage nach dem Wirkstoffgehalt nicht offen lassen. Er muss vielmehr unter Berücksichtigung anderer hinreichend feststellbarer Tatumstände wie Herkunft, Preis und Beurteilung des Betäubungsmittels durch Tatbeteiligte und letztlich des Grundsatzes “im Zweifel für den Angeklagten„ feststellen, von welchem Wirkstoffgehalt und damit von welcher Qualität des Betäubungsmittels auszugehen ist.
2. Dies gilt auch bei geringen Mengen, da auch dann die Qualität des Betäubungsmittels für die Strafzumessung von erheblicher Bedeutung ist. Entsprechende Feststellungen zum Mindestwirkstoffgehalt im angesprochenen Sinn sind allenfalls bei Anwendung des § 29 Abs. 5 BtMG entbehrlich, nicht jedoch, wenn zwar der Anwendungsbereich der Vorschrift möglicherweise eröffnet ist, jedoch - wie vorliegend - von seinen Rechtsfolgen kein Gebrauch gemacht wird.
Verfahrensgang
LG Ingolstadt (Urteil vom 22.12.2005) |
AG Ingolstadt (Urteil vom 25.07.2005) |
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 22. Dezember 2005 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Ingolstadt zurückverwiesen.
Gründe
I.
1. Das Amtsgericht Ingolstadt hat den Angeklagten am 25.7.2005 wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt.
Auf die hiergegen von der Staatsanwaltschaft eingelegte Berufung, die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war, hat das Landgericht Ingolstadt am 22.12.2005 das Urteil des Amtsgerichts Ingolstadt im Strafausspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt wurde. Der Entscheidung liegen die bereits vom Amtsgericht erhobenen Feststellungen zugrunde. Diese lauten wie folgt:
Der Angeklagte kaufte und übernahm am 9.5.2005, der als so genannter Freigänger bei der Firma W in Eichstätt arbeitete, vor der Metzgerei Sch in ### für 5 € zwei kleine Brocken Haschisch mit insgesamt 0,6 g. Anschließend verbrachte der Angeklagte das Haschisch, im Bund seiner Unterhose versteckt, in die JVA Eichstätt. Einen Teil verkonsumierte er, einen kleinen Teil von ca. 0,3 g schenkte er am Abend des 9.5.2005 dem Strafgefangenen E.
Wie der Angeklagte wusste, hatten weder er noch Englert eine behördliche Erlaubnis zum Umfang mit Betäubungsmitteln.
2. Mit der Revision rügt der Verteidiger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. In verfahrensrechtlicher Hinsicht macht er einen Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO geltend. Es habe ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO vorgelegen, weil die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt habe mit dem Ziel der Verhängung einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung.
Mit der Sachrüge wird ein Verstoß gegen § 47 StGB beanstandet, weil das Landgericht unzutreffenderweise von dessen Voraussetzungen ausgegangen sei und auch nicht festgestellt habe, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe unerlässlich ist. Darüber hinaus wird beanstandet, dass das Landgericht die Voraussetzungen des § 29 Abs. 5 BtMG nicht geprüft und es auch unterlassen habe, die Wirkstoffmenge zu bestimmen. Des weiteren habe das Landgericht durch die Festsetzung der Freiheitsstrafe gegen das Übermaßverbot verstoßen. Schließlich habe das Landgericht unzulässigerweise strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte das Betäubungsmittel in die JVA geschmuggelt habe.
II.
Die gemäß §§ 333, 341 Abs. 1, 344, 345 StPO zulässige Revision ist begründet.
1. Allerdings hat die erhobene Verfahrensrüge keinen Erfolg. Der Senat nimmt hierzu auf die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht vom 9.3.2006 Bezug.
2. Die Revision ist jedoch begründet, weil das Amtsgericht keine Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des vom Angeklagten erworbenen Betäubungsmittels getroffen hat. Der Rechtsfolgenausspruch durch das Amtsgericht war daher nicht durch ausreichende Feststellungen getragen, so dass die Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch nicht wirksam war (vgl. Meyer-Goßner StPO 48. Aufl...