Leitsatz (amtlich)

Das HKÜ ist auf Rückführungsanträge nicht anzuwenden, wenn das Kind vor seinem rechtswidrigen Zurückhalten in Deutschland seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Ostjerusalem hatte.

 

Verfahrensgang

AG München (Beschluss vom 10.08.2015; Aktenzeichen 517 F 6889/15)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des AG München vom 10.8.2015 aufgehoben.

2. Der Rückführungsantrag des Antragstellers wird abgewiesen.

3. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu tragen.

 

Gründe

I. Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Beschwerde dagegen, dass das AG München mit Beschluss vom 10.8.2015 auf Antrag des Antragstellers die Rückführung der gemeinsamen Kinder der Beteiligten nach Israel angeordnet hat.

Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind miteinander verheiratet. Aus ihrer Ehe sind die am ... 2014 geborenen Kinder S. und L. hervorgegangen. Ein weiteres Kind der Eheleute lebt jetzt wieder beim Antragsteller. Die Familie lebte in Ostjerusalem, Stadtteil Pisgat Ze'ev, A. A. St. Von dort aus ist die Antragsgegnerin mit den drei Kindern mit Zustimmung des Antragstellers nach Deutschland gereist. Der Antragsteller hat die Kinder in der Folgezeit in Deutschland besucht. Im Dezember 2014 reiste der Antragsteller ohne Wissen und Wollen der Antragsgegnerin mit dem ältesten Kind nach Israel. Ein auf der Grundlage des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen vom 25.10.1980 (HKÜ) in Israel gestellter Rückführungsantrag der Antragsgegnerin blieb erfolglos.

Nachdem die Antragsgegnerin dem Antragsteller mitgeteilt hatte, dass sie mit den beiden bei ihr wohnenden Kindern in Deutschland bleiben werde und nicht mehr in die gemeinsame Ehewohnung zurückkehren wolle, hat der Antragsteller am 5.5.2015 einen Rückführungsantrag beim AG München gestellt.

Der Antragsteller hat gemeint, die Antragsgegnerin halte die Kinder rechtswidrig in Deutschland zurück. Er habe dem Aufenthalt in Deutschland nur zugestimmt, weil die Antragsgegnerin wie jedes Jahr zusammen mit ihren Eltern Urlaub machen wollte. Die Antragsgegnerin habe ursprünglich beabsichtigt, innerhalb von zwei bis drei Monaten wieder nach Israel zurückzukehren. Er selbst habe niemals daran gedacht, nach Deutschland auszuwandern.

Die Antragsgegnerin hat die Auffassung vertreten, dass der Antragsgegner nach Deutschland habe auswandern wolle. Diesbezüglich habe man auch schon umfangreiche Erkundigungen zur Anerkennung der beruflichen Abschlüsse des Antragstellers eingeholt. Er habe die Antragsgegnerin in Deutschland auch bei der Beantragung von Sozialleistungen unterstützt. Der Antragsteller habe nach ihrer Ausreise nach Deutschland offensichtlich unter dem Druck der Familie seine Auffassung zur Auswanderung geändert. Eine Rückkehr nach Ostjerusalem sei ihr und den Kindern auf Grund der aktuell sehr angespannten Sicherheitslage nicht mehr zumutbar.

Das AG München hat mit Beschluss vom 10.8.2015 die Rückführung der Kinder durch die Antragsgegnerin nach Israel angeordnet. Es ist der Auffassung gewesen, dass das Zurückhalten der Kinder in Deutschland rechtswidrig sei; die Antragsgegnerin habe nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass die Eltern der betroffenen Kinder im Zeitpunkt der Ausreise aus Israel die Absicht hatten, gemeinsam mit den Kindern nach Deutschland umzusiedeln. Die Antragsgegnerin trage für eine solche Vereinbarung die Beweislast; sie habe aber nicht nachweisen können, dass die Rückführung der Kinder nach Israel mit einer schwerwiegenden Gefahr für die Kinder verbunden sei.

Gegen den ihr am 17.8.2015 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 31.8.2015 Beschwerde eingelegt.

Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens meint die Antragsgegnerin, dass der Antragsteller seinen Rückführungsantrag nicht auf das HKÜ stützen könne, weil die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt vor ihrer Ausreise nach Deutschland nicht im Vertragsstaat Israel hatten, sondern in Ostjerusalem, Stadtteil Pisgat Ze'ev. Hierbei handele es sich um von Israel besetztes Gebiet; die Annexion Ostjerusalems werde von der Völkergemeinschaft nicht anerkannt.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Beschluss des AG München vom 10.8.2015 aufzuheben und den Antrag abzuweisen.

Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Er meint, das HKÜ sei anzuwenden; Israel betrachte Ostjerusalem als sein Hoheitsgebiet und übe dort die Hoheitsgewalt aus. Daher hätten die Kinder vor der Ausreise nach Deutschland ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat des HKÜ gehabt. Im Übrigen bestreitet der Antragsteller weiterhin, dass die Eheleute einen gemeinsamen Umzugsplan gehabt hätten. Er habe der Ausreise der Kinder nach Deutschland nur für die Urlaubszeit zugestimmt. Im Übrigen sei die Sicherheitslage in Israel nicht so, dass die Rückführung der Kinder nach Israel mit einer schwerwiegenden Gefahr für Leib oder Leben der Kinder verbunden sei.

Wegen der Einzelheiten...

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