Leitsatz (amtlich)

Aus der unterbliebenen Beantwortung zweier schriftlicher Aufforderungen der Ausländerbehörde kann nicht ohne weiteres auf eine beharrliche Weigerung, bei der Passbeschaffung mitzuwirken, und damit auf eine Entziehungsabsicht des betroffenen Ausländers geschlossen werden.

 

Normenkette

AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5

 

Verfahrensgang

LG Würzburg (Beschluss vom 23.09.2005; Aktenzeichen 8 T 2392/05)

AG Würzburg (Aktenzeichen XIV B 91/05)

 

Tenor

I. Der Beschluss des LG Würzburg vom 23.9.2005 wird aufgehoben.

II. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG Würzburg zurückverwiesen.

III. Dem Betroffenen wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für das Rechtsbeschwerdeverfahren bewilligt.

Ihm wird Rechtsanwältin N. für diesen Rechtszug beigeordnet.

 

Gründe

I. Die Ausländerbehörde betreibt die Abschiebung des Betroffenen, eines afghanischen Staatsangehörigen.

Der Betroffene reiste am 18.11.2002 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter. Sein Antrag wurde mit Bescheid vom 11.9.2003, bestandskräftig seit 13.4.2004, abgelehnt. Er wurde unter Fristsetzung aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Für den Fall der nicht rechtzeitigen Ausreise wurde ihm die Abschiebung angedroht. Ein Asylfolgeantrag wurde mit Bescheid vom 16.12.2004, bestandskräftig seit 4.1.2005, ebenfalls abgelehnt. Der Betroffene blieb in Deutschland. Wegen der politischen Lage in Afghanistan waren Abschiebungen bis Mitte 2005 nicht durchführbar. Der Betroffene erhielt eine Duldung bis längstens 22.9.2005, auflösend befristet bis zu einer möglichen Abschiebung. Seit 24.6.2005 sind Rückführungen nach Afghanistan möglich.

Der Betroffene wurde mit Bescheid vom 16.2.2005 aufgefordert, bis 17.5.2005 einen Pass oder Passersatz bei der Ausländerbehörde vorzulegen. Im Falle der Untätigkeit wurde ihm angedroht, zwangsweise bei der afghanischen Botschaft vorgeführt zu werden. Mit erneutem Schreiben vom 27.7.2005 wurde er aufgefordert, bis 5.8.2005 einen Antrag auf Passersatz auszufüllen und vorzulegen. Der Betroffene reagierte auf beide Schreiben nicht. Am 30.8.2005 wurde er in der ihm zugewiesenen Unterkunft festgenommen. Am 26.9.2005 stellte der Betroffene einen erneuten Asylfolgeantrag, über den noch nicht entschieden worden ist.

Mit Beschl. v. 30.8.2005 hat das AG Abschiebungshaft mit sofortiger Wirksamkeit für die Dauer von drei Monaten gegen den Betroffenen angeordnet. Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene sofortige Beschwerde eingelegt und zugleich Prozesskostenhilfe und die Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten beantragt. Nach Anhörung des Betroffenen hat das LG am 23.9.2005 die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und dabei den Haftgrund des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AufenthG bejaht. Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen. Zugleich hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten für das Rechtsbeschwerdeverfahren beantragt.

II. Die zulässige sofortige weitere Beschwerde hat insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das LG führt.

1. Zu Recht hat das LG zunächst festgestellt, dass der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig ist, da die im Bescheid vom 11.9.2003 gesetzte Ausreisefrist abgelaufen ist. Die dem Betroffenen erteilte Duldung steht der Ausreisepflicht nicht entgegen, § 60a Abs. 3 AufenthG. Über die Einhaltung der Monatsfrist des § 60a Abs. 5 S. 4 AufenthG haben die Haftgerichte nicht zu entscheiden.

2. Die vom LG festgestellten Tatsachen tragen die Haftanordnung gem. § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AufenthG nicht. Der Verdacht der Entziehungsabsicht setzt voraus, dass konkrete Umstände, insb. Äußerungen und Verhaltensweisen, des Betroffenen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten bzw. nahe legen, der Betroffene beabsichtige unterzutauchen oder die Abschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden könnte (BGH v. 12.6.1986 - V ZB 9/86, BGHZ 98, 109 [112] = MDR 1986, 923).

a) Das LG hat dazu festgestellt, der Betroffene habe auf zwei Anschreiben der Ausländerbehörde, mit denen er zu einem Tätigwerden in Bezug auf seine fehlenden Ausweispapiere aufgefordert wurde, nicht reagiert. Zwar ist der Betroffene verwaltungsrechtlich verpflichtet, an der Beschaffung von Passersatzpapieren mitzuwirken, § 48 Abs. 3 AufenthG. Diese Mitwirkungspflicht kann jedoch nicht durch den Vollzug von Abschiebungshaft erzwungen werden. Die Abschiebungshaft darf allein zur Sicherung der Abschiebung angeordnet werden, als Beugehaft zur Erzwingung verwaltungsrechtlicher Mitwirkungspflichten ist sie unzulässig (BayObLG v. 24.11.2003 - 4Z BR 71/03, BayObLGReport 2004, 136 [137]).

Im vorliegenden Fall lässt sich aus der Passivität des Betroffenen alleine kein begründeter Verdacht herleiten, er wolle sich der Abschiebung entziehen. Die näheren Umstände, warum er auf ...

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