Entscheidungsstichwort (Thema)

Wettbewerb im „Internet-Vertrieb”

 

Leitsatz (amtlich)

Es verstößt gegen § 20 Abs. 2,1 GWB, wenn ein marktstarker Hersteller von Spitzenkosmetika, der diese in einem selektiven Einzelhandelsvertriebssystem vertreibt, die Zulässigkeit des Vertriebs im Internet nur seinen vertraglich an ihn gebundenen „Depositären” gestattet.

 

Normenkette

GWB § 20

 

Verfahrensgang

LG München I (Aktenzeichen 7 O 7009/00)

 

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin entsprechend ihren Bestellungen mit den Produkten der Marken Lancaster, Jill Sander, Davidoff und JOOP! zu den Konditionen der mit den anderen Kunden der Beklagten abgeschlossenen Depotverträge zu beliefern.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 1.030.000 DM abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Der Wert der Beschwer der Beklagten übersteigt 60.000 DM.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Belieferung mit von der Beklagten vertriebenen Luxus-Kosmetika.

Die Beklagte stellt Luxus-Kosmetika her und vertreibt sie in einem selektiven Vertriebssystem über von ihr autorisierte, ein bestimmten Anforderungen genügendes Ladengeschäft betreibende „Depositäre” auf der Grundlage von mit diesen geschlossenen Depotverträgen (Mustervertrag: Anlage K 1). Ihren Depositären gestattet die Beklagte auf der Grundlage einer Internet-Zusatzvereinbarung (Auszug: Anlage K 8) den Vertrieb der Vertragsprodukte auch über das Internet; die Vereinbarung sieht ein Kündigungsrecht der Beklagten für den Fall vor, dass der Depositär mehr als 50 % seines Gesamtabsatzes über das Internet erzielt. Die Beklagte hat insbesondere mit einer Gesellschaft, die zu der in der Bundesrepublik Deutschland ca. 700 Kosmetik-Fachgeschäfte betreibenden Douglas-Gruppe (die näheren gesellschaftsrechtlichen Zusammenhänge sind von den Parteien nicht erörtert worden) gehört, eine Vereinbarung geschlossen, die diese zum Vertrieb der Produkte der Beklagten über das Internet berechtigt; eine Vereinbarung gleichen Inhalts besteht mit Kaufhof AG. Gegenüber Unternehmen mit denen mangels Erfüllung der qualitativen Voraussetzungen, insbesondere mangels Vorhandenseins eines stationären Fachgeschäfts die Beklagte keinen „Depotvertrag” geschlossen hat, verweigert die Beklagte die Autorisierung zum Vertrieb ihrer Produkte über das Internet und die Belieferung mit ihren Produkten zu diesem Zweck.

Die Beklagte ist mit ihren Produkten mit einem Marktanteil von 18 % Marktführer in der Bundesrepublik Deutschland. Zur Spitzengruppe der Hersteller gehören neben der Beklagten die Hersteller Unilever, L'Oreal, Procter & Gamble, Chanel, Estée Lauder, LVMH, Wella und Shiseido. Unstreitig ist der stationäre Kosmetik-Fachhandel in der Bundesrepublik Deutschland von der Belieferung mit von der Beklagten unter den Marken Lancaster, Jill Sander, Davidoff und JOOP! vertriebenen Produkten abhängig i.S.e. sortimentsbedingten oder Spitzengruppen-Abhängigkeit.

Die Klägerin ist ein Unternehmen, das kosmetische Produkte ausschließlich über das Internet vertreibt. Ihren mit ca. 3 Mio. DM angegebenen Jahresumsatz hat die Beklagte bestritten, jedoch unstreitig gestellt, dass die Klägerin ein kleines Unternehmen i.S.v. § 20 Abs. 2 S. 1 GWB ist. Die Beklagte verweigert die Belieferung der Klägerin mit ihren Produkten zum Vertrieb über das Internet (ausschließlich) mit der Begründung, die Klägerin sei mangels Vorhandenseins eines stationären Ladengeschäfts als Depositär nicht autorisierungsfähig. Auch von den übrigen erwähnten Herstellern der Spitzengruppe wird die Klägerin nicht beliefert. Da es der Klägerin gelang, sich Produkte der Beklagten anderweitig zu verschaffen, hat die Beklagte von der Klägerin in einem dem vorliegenden Rechtsstreit vorangegangenen Rechtsstreit die Unterlassung eines bestimmten von ihr als wettbewerbswidriger „Schleichbezug” qualifizierten Warenbezugs verlangt (29 U 1737/01 OLG München). In jenem Rechtsstreit umgekehrten Rubrums hat die Klägerin die dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde liegende Klage mit Zustimmung der Beklagten im Berufungsrechtszug als Widerklage erhoben.

Die Klägerin hat geltend gemacht, sie könne von der Beklagten gem. § 20 Abs. 2,1, § 33 GWB, § 249 BGB Belieferung verlangen. Sie sei als kleines Unternehmen im Hinblick auf die Erwartungen des Marktes von der Belieferung durch die Beklagte mit deren wichtigsten Produkten abhängig. Auf andere Bezugswege für die Produkte der Beklagten könne sie wegen des selektiven Vertriebssystems der Beklagten nicht in ausreichendem Maße ausweichen. Durch die Nichtbelieferung werde sie daher auf dem sachlich und örtlich relevanten Markt der exklusiven Kosmetik in der Bundesrepublik Deutschland durch die zur Spitzengruppe der Hersteller gehörende Beklagte, deren Produkte im Sortiment auch eines Int...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge