Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung des absoluten Verzögerungsbegriffs bei Prospekthaftung
Leitsatz (amtlich)
Der Prospekt eines geschlossenen Immobilienfonds ist widersprüchlich, wenn er einerseits darauf hinweist, dass sämtliche Genehmigungen für das geplante Projekt vorlägen, und andererseits darauf, dass die Gefahr bestehe, dass wegen nicht erteilter Genehmigungen Sonderflächen nicht übernommen werden könnten.
Sind nach dem Inhalt des entsprechenden Prospekts mehr Stellplätze vermietet, als laut dessen Inhalt konkret geplant, ist dies von der Treuhänderin oder der die Beteiligung veräußernden Bank zu hinterfragen.
Prospekthaftung im weiteren Sinne setzt voraus, dass der in Anspruch genommene Initiator selbst das persönliche und nicht nur das anonymisierte (Prospekt-)Vertrauen des Anlegers in Anspruch nimmt.
Prospekthaftung im deliktischen Sinne setzt Darlegung und ggf. Nachweis der subjektiven Tatseite durch den Anleger voraus.
Ein Fondsanleger kann nicht allein aufgrund der Behauptung, sein Geld wäre sicher nicht ungenutzt geblieben, entgangene Zinsen auf den Anlagebetrag beanspruchen.
In Massenverfahren, in denen die Beklagten bekanntermaßen ihre Ersatzpflichten bestreiten, muss dargelegt werden, warum im jeweiligen Einzelfall die vorgerichtliche Beauftragung der massenhaft tätigen Klägervertreter erfolgversprechend war.
Normenkette
StGB §§ 263, 264a; BGB § 252 S. 2; ZPO § 287
Verfahrensgang
Tenor
1. Das Urteil des LG München I vom 19.02.2016, Az. 3 O 6119/15, wird abgeändert und wie folgt neugefasst:
2. Die Beklagten zu 1) und 3) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 7.048,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus 8.394,83 EUR vom 5.12.2014 bis zum 7.9. 2015,
aus 7.508,19 EUR vom 8.9.2015 bis zum 23.12.2015 und
aus 7.048,13 EUR seit 24.12.2015
Zug um Zug gegen Abtretung der Rechte der Klägerin aus dem Treuhandvertrag betreffend deren Beteiligung an der H. L. Wachstumswerte Europa III GmbH & Co. KG, mit der Anteilsnummer 2236 zu zahlen.
3. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, die Klägerin von einer Haftung gemäß § 14 des Treuhand- und Beteiligungsverwaltungsvertrags über die Beteiligung der Klägerin an der H. L. Wachstumswerte Europa III GmbH & Co. KG, Anteilsnummer 1827, gegenüber der H.-L. Treuhand-Vermögensverwaltung GmbH freizustellen.
4. Es wird festgestellt, dass der Beklagten zu 3) aus § 14 der beiden zwischen ihr und der Klägerin bestehenden Treuhandverträge betreffend die Beteiligungen der Klägerin an der H. L. Wachstumswerte Europa III GmbH & Co. KG mit den Anteilsnummer 1827 keine Ansprüche zustehen.
5. Im Übrigen wird die Klage ab- und die Berufungen zurückgewiesen.
6. Von den Gerichtskosten beider Instanzen tragen die Klägerin 48 % und die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner 52 %. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) in beiden Instanzen. Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen tragen die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner 52 %. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 3) trägt die Klägerin jeweils 20 %. Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
7. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, die Vollstreckung aus dem in Ziff. 1 genannten landgerichtlichen Urteil, soweit es aufrechterhalten wurde, ist ohne Sicherheitsleistung zulässig.
8. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 8.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Frage, ob die Beklagten als Initiatorin, Anbieterin, Eigen- und Fremdkapitalvermittlerin (Beklagte zu 2) bzw. als Treuhänderin und Gründungsgesellschafterin (Beklagte zu 3) der H. L. Wachstumswerte Europa III GmbH & Co. Beteiligungs KG dem diese Beteiligung zeichnenden Kläger unter dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung im weiteren Sinne zum Schadensersatz verpflichtet sind. Die Beklagte zu 1) soll der Klägerin unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des mit ihr geschlossenen Anlageberatungsvertrags einstehen.
Die Klägerin beteiligte sich mit Zeichnungsschein vom 15.1.2009 mit 10.000 EUR nebst 500 EUR Agio an der genannten Fondsgesellschaft. Sie hat in erster Instanz behauptet, der Prospekt weise diverse Fehler auf, auf die sie nicht hingewiesen worden sei. Außerdem habe die Beklagte zu 1) sie nicht über die von ihr erhaltene Provision aufgeklärt. Deshalb hätten ihr die Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Anlageberatungsvertrags, der Prospekthaftung im weiteren Sinne bzw. des Delikts einzustehen.
Die Klägerin hat in erster Instanz zuletzt beantragt:
1. Die Beklagten zu 1), zu 2) und 3) werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin einen Betrag von 8.276,87 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. a. seit dem 5.12.2014 zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. a. seit 05.12.20...