Leitsatz (amtlich)
1. a) Eine in der Schweiz ansässige Rechtsanwaltsgesellschaft richtet ihre berufliche Tätigkeit gemäß Art. 15 Abs. 1 Buchst. c LugÜ (entspricht Art. 17 Abs. 1 Buchst. c EuGVVO 2012) auf mehrere Staaten einschließlich Deutschlands aus, wenn ihre in deutscher und englischer Sprache gehaltene Webseite mit der Internetadresse "xxx. com" eine andere Top-Level-Domain (. com) als die länderspezifische Top-Level-Domain der Schweiz (. ch) aufweist, die dort genannte Telefonnummer mit internationaler Vorwahl sowie die dort genannte Postadresse mit dem vorangestellten Länderkürzel "CH" angegebenen werden und die auf der Webseite dargestellten anwaltlichen Leistungen mit internationalem Charakter auch für ausländische Mandanten (einschließlich solcher aus Deutschland) angeboten werden.
b) Eine Kausalität zwischen dem Ausrichten der Webseite und dem Abschluss des Rechtsanwaltsvertrages ist nicht notwendig, um den Gerichtsstand am Wohnsitz des Verbrauchers nach Art. 16 Abs. 1 LugÜ zu begründen (im Anschluss an EuGH, Urt. v. 17.10.2013 - C-218/12, = NJW 2013, 3504).
2. a) Eine in der Schweiz ansässige Rechtsanwaltsgesellschaft richtet ihre berufliche Tätigkeit gemäß Art. 15 Abs. 1 Buchst. c LugÜ auf mehrere Staaten einschließlich Deutschlands aus, wenn sie sich mit einem Schreiben an in Deutschland ansässige geschädigte Anleger wendet und darin die Vertretung von deren Interessen in einem in der Schweiz anhängigen Verfahren anbietet. Dies erfüllt die Voraussetzungen des Ausrichtens gemäß Art. 15 Abs. 1 Buchst. c LugÜ, denn dessen Wortlaut ist dahin zu verstehen, dass er die früheren Begriffe des "ausdrücklichen" Angebots und der "Werbung" einschließt und ersetzt (im Anschluss an EuGH, Urt. v. 07.12.2010 - C-585/08 und C-144/09, NJW 2011, 505).
b) Der Anwendung des Art. 15 Abs. 1 Buchst. c LugÜ steht nicht entgegen, dass der Kontakt zwischen deutschem Anleger und Schweizer Rechtsanwalt über einen vom Anleger bereits beauftragten deutschen Rechtsanwalt vermittelt wird, da die Initiative zur Unterbreitung des Angebots nicht vom Unternehmer ausgegangen sein muss (vgl. BGH, Urt. v. 31.05.2011 - VI ZR 154/10, BGHZ 190, 28 = NJW 2011, 2809 = WM 2011, 1324 = EuZW 2011, 723).
c) Entscheidend für die Feststellung eines "Ausrichtens" ist der Wille des im Ausland ansässigen Unternehmers, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern in anderen Mitgliedsstaaten herzustellen. Für die Anwendbarkeit des Art. 15 Abs. 1 Buchst. c LugÜ genügt es, wenn eine spezifische Zielrichtung auf eine Gruppe potentieller Kunden vorliegt (so auch OLG Frankfurt, Urt. v. 05.02.2016 - 2 U 136/15). Der Anwendung des Art. 15 Abs. 1 Buchst. c LugÜ steht deshalb nicht entgegen, dass sich die im Schreiben eines Rechtsanwalts liegende Werbung nicht an eine breitere Öffentlichkeit richtet, sondern an einen von vorne herein eingegrenzten Personenkreis (hier: "geschädigte Kunden der Firma XXX AG").
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 09.06.2015; Aktenzeichen 4 O 7565/14) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG München I vom 09.06.2015, Az. 4 O 7565/14, aufgehoben.
Die deutschen Gerichte sind international zuständig.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über Ansprüche aus Anwaltshaftung.
Der Kläger, ein selbstständiger Musikproduzent und Komponist, verlangt von den Beklagten, nämlich zwei in der Schweiz ansässigen Rechtsanwälten und einer Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz, Schadensersatz wegen einer am 11.01.2011 (Anl. K 2) beauftragten Tätigkeit im Rahmen eines Nachlassverfahrens eines insolvent gewordenen Schweizer Vermögensverwaltungsunternehmens, der MWB V. AG (im Folgenden: MWB AG). Mit dieser hatte der Kläger am 13.12.2000 einen Vermögensverwaltungsvertrag abgeschlossen.
Mit der Behauptung, die MWB AG habe sein Vermögen nicht ordnungsgemäß verwaltet, erstritt der Kläger gegen diese, deren Direktor Michael E. und deren Verwaltungsratspräsidenten Karl F. ein weitgehend zusprechendes Urteil des LG München I (Az. 29 O 16126/10) vom 24.10.2011 (Anl. K 1). Auf die Berufung der Beklagten hob das Oberlandesgericht München (Az. 29 U 4599/11) dieses Urteil mit Urteil vom 16.01.2014 (Anl. K 1) hinsichtlich der Beklagten Michael E. und Karl F. auf, weil etwaige Schadensersatzansprüche gegen diese gemäß Art. 303 des Schweizer Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) erloschen seien.
Der Kläger macht geltend, dies beruhe auf einem Fehler der Beklagten, weil diese nicht ordnungsgemäß die Abtretung seiner Forderung gegen Zahlung angeboten hätten, woraus ihm ein Schaden entstanden sei.
Mit Endurteil vom 09.06.2015 hat das LG München I die Klage, die auf Zahlung von 48.287,30 EUR nebst Zinsen sowie Freistellung in Höhe von 1.592,00 EUR (OLG München) und 4.693,67 EUR (E. und F.) gerichtet war, als unzulässig...