Leitsatz (amtlich)
"Die Anrechnung einer vom Prinzipal finanzierten Rentenanwartschaft auf den Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters nach §§ 92, 89b HGB kann im Rahmen der Billigkeit (§ 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGB) auch dann geboten sein, wenn es infolge einer Fälligkeitsdifferenz von 11 Jahren zwischen Ausgleichsanspruch und Rentenansprüchen an einer "funktionellen Verwandtschaft" beider Rechtspositionen fehlt."
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 07.03.2006; Aktenzeichen 16 HKO 13197/05) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers gegen das Endurteil des LG München I vom 7.3.2006 werden zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 55 % und die Beklagte 45 %.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Anrechnung einer von der Beklagten finanzierten Altersversorgung des Klägers auf dessen Versicherungsvertreter-Ausgleichsanspruch.
1. Der am 31.3.1950 geborene Kläger war von 1972 bis 2004 als selbständiger Versicherungsvertreter für die Beklagte tätig. Der zwischen dem Kläger und der Beklagten im Mai 1972 geschlossene Vertretervertrag enthielt unter Ziff. 17. c) eine Bezugnahme auf die zwischen dem Gesamtverband der Versicherungswirtschaft und den Spitzenverbänden des Versicherungsaußendienstes vereinbarten "Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs (§ 89b HGB)", in denen sich folgende Regelung findet:
"Berücksichtigung einer Alters- und Hinterbliebenenversorgung
Da nach Auffassung der Beteiligten ein Ausgleichsanspruch auch aus Billigkeitsgründen (§ 89b Abs. 1 Ziff. 3 HGB) insoweit nicht entsteht, wie der Vertreter Leistungen aus einer durch Beiträge des Versicherungsunternehmens aufgebauten Alter- und Hinterbliebenenversorgung erhalten oder zu erwarten hat, ist von der nach I und II errechneten Höhe des Ausgleichsanspruchs bei einer Rentenversicherung der kapitalisierte Barwert der Rente der Anspruchsberechtigen, bei einer Kapitalversorgung deren Kapitalwert und bei fixierten Provisionsrenten (früher als Nachinkassoprovisionen oder Nachprovisionen bezeichnet) der kapitalisierte Barwert der zugesagten Provisionsrenten abzuziehen."
Im Jahr 1980 schloss die Beklagte für den Kläger im Rahmen einer Gruppenversicherung bei der V... Versicherung eine Versicherung ab, die die Risiken Alter, Berufsunfähigkeit und Hinterbliebenenrente abdeckte. Im Rahmen dieser Versicherung vereinbarten die Parteien insb. folgendes:
"Mit Rücksicht auf die Zukunftssicherung entsteht ein Ausgleichsanspruch nach § 89b des Handelsgesetzbuches aus Billigkeitsgründen insoweit nicht, wie das geschäftsplanmäßige Deckungskapital aus Beiträgen der D. stammt.
Soweit ein Ausgleichsanspruch gegeben ist und geltend gemacht wird, vermindern sich die aus den Beiträgen der D. stammenden Rentenansprüche so weit, dass das geschäftsplanmäßige Deckungskapital der fortfallenden Rentenansprüche gleich dem Betrage des Ausgleichsanspruchs ist; übersteigt der Betrag des Ausgleichsanspruchs das Deckungskapital, so entfallen die aus den Beiträgen der D. stammenden Rentenansprüche ganz. (...)".
Zwischen 1980 und 2004 erbrachte die Beklagte für den Kläger auf diese Versicherung Beiträge, mit denen bis zum Ende der Vertragsbeziehung zwischen den Parteien eine Altersversorgung mit einem Barwert von 148.375,78 EUR geschaffen wurde. Aufgrund dessen hat der Kläger mit Vollendung des 65. Lebensjahres einen jährlichen Altersrentenanspruch i.H.v. 11.941,74 EUR erworben.
Mit Schreiben vom 22.5.2003 kündigte die Beklagte den Vertretervertrag des Klägers zum 30.6.2004. Der Kläger machte mit Schreiben vom 24.6.2003 einen Ausgleichsanspruch geltend, den die Beklagte mit 134.982 EUR errechnete. Dieser Betrag ist zwischen den Parteien unstreitig.
In der Folge verweigerte die Beklagte eine Ausgleichzahlung mit der Begründung, im Rahmen der Billigkeitserwägung gem. § 89b HGB sei der Kapitalwert der von ihr erbrachten finanziellen Leistungen für die Altersversorgung des Klägers mit dem Ausgleichsanspruch zu verrechnen, so dass dem Kläger keine Zahlungsansprüche mehr zustünden.
Der Kläger, der derzeit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs bezieht, hat vorgetragen, die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung des Vertretervertrages habe für ihn katastrophale Folgen gehabt. Ihm sei in Folge seines Alters ein Neuanfang als selbständiger Versicherungsvertreter praktisch unmöglich. Er benötige die Ausgleichszahlung, um seine berufliche Zukunft bis zum Erreichen der Altersgrenze zu sichern. Auch diese Umstände seien im Rahmen der Billigkeitsprüfung über die Ausgleichszahlung zu berücksichtigen. So...