Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit von Äußerungen über einen Hauptdarsteller bei den Oberammergauer Passionsspielen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Abgrenzung zwischen Behaupten und Verbreiten und der Bedeutung der Übernahme einer Behauptung als eigene in diesem Zusammenhang.

2. Die Beweislast für die Wahrheit historischer Behauptungen liegt im Rechtsstreit um den Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts i.d.R. beim Behauptenden. Eine Umkehr der Beweislast aus der in das Zivilrecht transformierten Beweislastregel des § 186 StGB aufgrund sorgfältiger Recherche kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn unmittelbare Zeugen wegen des Zeitablaufs nicht mehr zur Verfügung stehen.

3. Die Beweislast dafür, dass die Ergebnisse einer Recherche zutreffend wiedergegeben sind, liegt grundsätzlich bei dem, der die Ergebnisse der Recherche wiedergibt.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1, § 1004; StGB §§ 186, 193

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 18.12.2002; Aktenzeichen 9 O 3496/01)

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des LG München I, 9. Zivilkammer, vom 18.12.2002 wird zurückgewiesen.

II. Auf die Anschlussberufung der Kläger wird das in Nr. I genannte Endurteil in dessen Entscheidungssatz Nr. I dahin ergänzt, dass der Beklagte zusätzlich auch verurteilt wird, folgende, weitere Äußerungen zu unterlassen:

„P. und seine Nazi-Freunde hätten immer die Aktionen der Nazi-Oberen in den Städten nachahmen wollen.”

„Da die Ereignisse lange zurückliegen und die Hauptbeteiligten nicht mehr leben, ist nicht zu erwarten, dass sich ein Zusammenhang zwischen dem Gemälde in der Kirche und dem Auftritt von P.s Nazi-Trupp nachweisen lassen wird. Gleichwohl spricht einiges dafür, dass es einen Zusammenhang gibt.”

III. Die Beklagten erster Instanz tragen deren Kosten in vollem Umfang. Der Beklagte und Berufungskläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung der Kläger i.H.v. 30.000 Euro vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Zulässigkeit von Äußerungen in einem vom Erstbeklagten verfassten und von der Zweitbeklagten verlegten Buch „Bist Du der König der Juden? Die Passionsspiele in Oberammergau.”

Die Klägerin zu 1) ist die Ehefrau des im Jahr 1989 verstorbenen M.P. sen., der Kläger zu 2) ist dessen Sohn. M.P. sen. war im Jahr 1950 bei den Oberammergauer Passionsspielen der Darsteller von Jesus Christus. Später führte er bei diesen Spielen die Regie. Er war im Jahr 1932 in die NSDAP eingetreten und wurde im Jahr 1947 im Rahmen eines Spruchkammerverfahrens als Mitläufer eingestuft und mit einem einmaligen „Beitrag zu einem Wiedergutmachungsfonds i.H.v. RM 2.000” belegt.

Die Kläger wenden sich im Kern gegen Passagen in dem Buch, wonach M.P. sen. im Anschluss an die Reichskristallnacht 1938 zusammen mit anderen jungen Leuten zu einem jüdischen Mitbürger namens M.P.M., einem Musiklehrer, zu dessen Wohnhaus im Oberammergau hinaufgezogen seien, um Ärger zu machen, und dass sie ihn später aus dem Dorf hinausgejagt hätten (S. 158 und f. des Buchs). Auf den Wortlaut der angegriffenen Äußerungen im Buch, wiedergegeben im landgerichtlichen Urteil S. 6 bis 10, wird Bezug genommen. Der beklagte Verlag hat den Anspruch anerkannt, woraufhin gegen ihn antragsgemäß Anerkenntnisurteil erging; die Kostenentscheidung blieb der Endentscheidung vorbehalten.

Die Kläger haben in 1. Instanz in Richtung auf den Autor (Beklagter zu 1) beantragt:

Dem Beklagten zu 1) wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes von 5 DM bis zu 500.000 DM, an dessen Stelle – im Falle der Uneinbringlichkeit – eine Ordnungshaft bis zu 6 Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung verboten, in dem Buch „Bist Du der König der Juden?” und/oder in anderen Medien und/oder ggü. sonstigen Dritten zu behaupten, zu verbreiten und/oder behaupten oder verbreiten zu lassen:

1. „A.B. erzählte weiter, von ihrer Mutter habe sie gehört, dass in den dreißiger Jahren A.P. und ein Trupp jugendlicher Nazis zu M.s Haus gezogen seien, um Ärger zu machen, und später M. aus dem Dorf hinausgejagt hätten.”

P. war Mitte 20, als er mit dem Nazi-Trupp zu M. zog – vor Gericht sprach man später von einer ‚Judenaktion’”.

2. „Auf die Frage, ob P. und seine Freunde an dem Tag, an dem sie zur Villa W. hinaufgingen, M.s Bücher verbrannten, meinte A.B., dies sei wohl nicht der Fall gewesen – sie hatte gehört, dass seine Sachen durcheinander geworfen wurden, aber davon, dass man die Bücher verbrannt hätte, war nicht die Rede gewesen. P. und seine Nazifreunde hätten immer die Aktionen der Nazi-Oberen in den Städten nachahmen wollen.”

3. „Da die Ereignisse lange zurückliegen und die Hauptbeteiligten nicht mehr leben, ist nicht zu erwarten, dass sich ein Zusammenhang zwischen dem Gemälde in der Kirche und dem Auftritt von P.s Nazi-Trupp nachweisen lassen wird. Gleichwohl spricht einiges dafür, dass es eine Verbindung gab.”

Das LG hat die im Buch genannte A....

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