Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufung, Aufhebung, Zustellung, Berufungsverfahren, Feststellung, Streitwert, Nachweis, Festsetzung, Vollstreckbarkeit, Form, Protokoll, Annahme, Beweis, Bemessung, von Amts wegen, angefochtene Entscheidung
Verfahrensgang
LG Landshut (Urteil vom 27.06.2023; Aktenzeichen 71 O 2904/22) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird die auf die mündliche Verhandlung vom 28. März 2023 den Parteien zugestellte Entscheidung des Landgerichts Landshut, Az. 71 O 2904/22, auf der eine Verkündung am 27. Juni 2023 vermerkt ist, aufgehoben. Die Sache wird zur Beendigung des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens einschließlich der Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Landgericht zurückverwiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG nicht erhoben.
Gründe
I. Die Parteien streiten über den Bestand einer fondsgebundenen Rentenversicherung und Ansprüche in diesem Zusammenhang. Das Protokoll des Landgerichts, wonach am 27. Juni 2023 ein Endurteil verkündet worden sei (Bl. 100 d. A. LG), ist am 30. November 2023 von dem Vorsitzenden Richter am Landgericht signiert worden. Am gleichen Tag ist ein als "Endurteil" überschriebenes Dokument (Bl. 101/112 d. A. LG) vom Richter signiert worden und ausweislich eines Vermerks des Urkundsbeamten vom 30. November 2023 (Bl. 112.3 d. A. LG) zur Geschäftsstelle gelangt. Es ist der Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 1. Dezember 2023 zugestellt worden.
Die Berufung des Klägers vom 21. Dezember 2023 (Bl. 1/2 d. A. OLG) ist am 22. Dezember 2023 beim Berufungsgericht eingegangen; in der Berufungsschrift wird darauf hingewiesen, das Urteil sei bislang noch nicht zugestellt. Die Zustellung an die Prozessbevollmächtigte des Klägers ist am 5. Januar 2024 erfolgt. Der Senat hat mit Beschluss vom 11. Januar 2024 (Bl. 7/9 d. A. OLG) Hinweise erteilt.
II. Die zulässige Berufung des Klägers führt zur Aufhebung und Zurückverweisung von Amts wegen. Die angefochtene Entscheidung ist mangels Verkündung ein sogenanntes Scheinurteil, das im Berufungsverfahren ohne Sachprüfung der Aufhebung unterliegt.
1. Ein nicht verkündetes Urteil beendet nicht die Instanz, kann aber mit der Berufung zur Beseitigung des durch die Zustellung bewirkten Rechtsscheins angegriffen werden (BGH, Urteil vom 4. Februar 1999 - IX ZR 7/98, NJW 1999, 1192 mwN; OLG München, Urteil vom 21. Januar 2011 - 10 U 3446/10, NJW 2011, 689 unter B.I.1.c; Zöller/Feskorn, ZPO, 35. Aufl., § 310 Rn. 7; Zöller/Heßler, aaO vor § 511 Rn. 36; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl., § 511 Rn. 13 mwN). Auf die Berufung gegen ein Scheinurteil muss das Berufungsgericht die (Noch-)Nichtexistenz eines erstinstanzlichen Urteils durch die Aufhebung der den Parteien zugegangenen Entscheidung klarstellen und die Sache an das erstinstanzliche Gericht zwecks Beendigung des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens zurückverweisen (BGH, Beschluss vom 3. November 1994 - LwZB 5/94, NJW 1995, 404 unter III; OLG München, Urteil vom 11. Januar 2024 - 25 U 2739/23 e; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO Rn. 13 f).
2. Prozessual ist davon auszugehen, dass das angefochtene "Urteil" nicht verkündet wurde. Es fehlt an dem erforderlichen Nachweis einer Verkündung.
a) Gemäß § 165 Satz 1 ZPO kann die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten, zu denen nach § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO die Verkündung der Entscheidungen gehört, nur durch das Protokoll bewiesen werden. Nicht ausreichend ist der Verkündungsvermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 1989 - III ZB 38/88, juris Rn. 5; vom 7. Februar 1990 - XII ZB 6/90, FamRZ 1990, 507; vom 13. Juni 2012 - XII ZB 592/11, FamRZ 2012, 1287 Rn. 16). Dem Protokoll fehlt die formelle Beweiskraft des § 165 ZPO, wenn es nicht gemäß § 163 ZPO unterschrieben oder nach § 130b ZPO signiert ist (MünchKomm-ZPO/Fritsche, 6. Aufl., § 165 Rn. 9; vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 1989, aaO Rn. 6; BeckOK-ZPO/Wendtland, 2023, § 165 Rn. 10; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 20. Aufl., § 165 Rn. 4; Zöller/Schultzky, ZPO, 35. Aufl., § 165 Rn. 6). Es fehlt am Nachweis einer Verkündung gemäß § 310 ZPO, wenn kein ordnungsgemäß unterschriebenes Protokoll besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2017 - XII ZB 504/15, FamRZ 2017, 821 Rn. 11 mwN; OLG München, Beschluss vom 11. Oktober 2023 - 25 U 2494/22, juris Rn. 1).
Enthält ein Protokoll die Feststellung, "anliegende Entscheidung" sei verkündet worden, so erbringt es nur dann Beweis dafür, dass ein Urteil auf der Grundlage einer schriftlich fixierten Urteilsformel verkündet worden ist, wenn das Protokoll innerhalb der Fünfmonatsfrist des § 517 ZPO erstellt worden ist (BGH, Urteil vom 13. April 2011 - XII ZR 131/09, NJW 2011, 1741).
b) Gleiches gilt für das hier vorliegende Protokoll, wonach "folgendes Endurteil" verkündet worden sei. Das Protokoll ist nicht innerhalb der Fünfmonatsfrist des § 5...