Entscheidungsstichwort (Thema)

Trassenentgelte

 

Leitsatz (amtlich)

Zur zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle von Trassenentgelten im Eisenbahnsektor.

 

Normenkette

BGB §§ 315, 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1; ZPO § 287

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 27.07.2011; Aktenzeichen 37 O 14793/10)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG München I vom 27.7.2011 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Dieses Urteil und das Urteil des LG sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des vollstreckbaren Betrags, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 115 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

 

Gründe

I. Die Klägerin, ein nach den Bestimmungen des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) zugelassenes Eisenbahnverkehrsunternehmen im Bereich des gewerblichen Güterverkehrs, fordert nach einer Anpassung der Trassenentgelte für die Netzfahrplanperiode 2010 die Rückzahlung für den Zeitraum vom 13. bis 31.12.2009 sowie die Monate Januar bis Juni 2010 unter Vorbehalt an die Beklagte geleisteter Beträge, die der Differenz zu den Trassenentgelten entsprechen, die die Klägerin geleistet hätte, wenn die Trassenentgelte nicht angepasst worden wären.

Die Beklagte, ein Konzernunternehmen der ..., unterhält als nach den Bestimmungen des AEG zugelassenes Eisenbahninfrastrukturunternehmen nahezu das gesamte bundesdeutsche Eisenbahnschienennetz, welches sie Eisenbahnverkehrsunternehmen auf der Grundlage sog. Infrastrukturnutzungsverträge gegen Entgelt zur Verfügung stellt. Der formularmäßig abgefasste Infrastrukturnutzungsvertrag regelt die Grundsätze des Vertragsverhältnisses zwischen dem einzelnen Eisenbahnverkehrsunternehmen und der Beklagten und ist Grundlage der auf seiner Basis über die jeweils konkrete Trassennutzung abzuschließenden Einzelnutzungsverträge, in die die Regelungen des Infrastrukturnutzungsvertrags einbezogen werden.

Nach § 3 des zwischen den Parteien unter dem 12./13.1.2006 geschlossenen Infrastrukturnutzungsvertrags (Anlage K 1) i.V.m. dessen Vertragsanlage 4 hat die Klägerin für die Nutzung des Schienennetzes der Beklagten Trassenentgelte, die auf der Grundlage der jeweils gültigen Trassenpreisliste berechnet werden, zu zahlen. Die Trassenpreisliste, auch Trassenpreissystem genannt, wird von der Beklagten ohne Mitwirkung der Eisenbahnverkehrsunternehmen im Voraus für bestimmte Zeitperioden festgesetzt (§ 3 Nr. 1 Satz 3 des Infrastrukturnutzungsvertrags der Parteien i.V.m. Ziff. 7.1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Nutzung der Eisenbahninfrastruktur der Beklagten - ABN, der inzwischen als Ziff. 8.7.1 in die Schienennetz-Benutzungsbedingungen [SNB = Anlage K 3] der Beklagten integriert ist).

Im Streit steht zwischen den Parteien die von der Beklagten zum Fahrplanwechsel 2009/2010 mit Wirkung vom 13.12.2009 vorgenommene Anpassung der Trassenentgelte für Fernstrecken, wie sie sich aus dem Trassenpreissystem 2010 (Anlage K 4), insbesondere der dortigen Ziff. 3.1.1, ergibt. Im Vergleich zu den zuvor in der Netzfahrplanperiode 2009 (Anlage K 5) geltenden Trassenentgelten ergaben sich damit für die Netzfahrplanperiode 2010 - soweit im Streitfall relevant - folgende Veränderungen:

Fernstreckenkategorie

Grundpreis pro Trassenkilometer

Änderung in Prozent

bis 12.12.2009

ab 13.12.2009

Fplus

8,30 EUR

8,38 EUR

+ 0,96 %

F1

4,21 EUR

4,29 EUR

+ 1,90 %

F2

2,91 EUR

2,98 EUR

+ 2,41 %

F3

2,61 EUR

2,68 EUR

+ 2,68 %

F4

2,50 EUR

2,57 EUR

+ 2,80 %

F5

1,90 EUR

1,90 EUR

unverändert

F6

2,25 EUR

2,31 EUR

+ 2,67 %

Die vorgenannten Streckenkategorien besitzen unterschiedliche Infrastrukturmerkmale.

Die Klägerin hat im Jahr 2010 - wie auch in den Vorjahren - verschiedene Streckenkategorien in unterschiedlichem Umfang genutzt, darunter zu 50 % Fernstrecken der Kategorie F 3 und zu 38 % Fernstrecken der Kategorie F 5 (vgl. Anlage B 2). Die Fernstrecken der Kategorien Fplus und F 1 werden überwiegend von Fernverkehrszügen der ... benutzt, die zum selben Konzern wie die Beklagte gehört.

Die Klägerin widersprach mit Schreiben vom 11.1.2010 (Anlage K 6) der Erhöhung der Trassenentgelte wegen Unbilligkeit (§ 315 Abs. 3 BGB), erklärte, dass die Erhöhung der Trassenentgelte unverbindlich sei und entrichtete in der Folgezeit die Trassenentgelte in dem Umfang, in dem sie von der Beklagten erhöht worden waren, unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Rückforderung.

Vor dem LG hat die Klägerin zuletzt beantragt

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag i.H.v. 33.394,27 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängig-keit zu zahlen;

2. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag 1), die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag von weiteren 139.608,84 EUR nebst Zinsen i.H.v. 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 77.880,56 EUR ab Rechtshängigkeit und aus einem Betrag von 61.728,28 EUR ab Zustellung des Schriftsatze...

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