Entscheidungsstichwort (Thema)
Entscheidungserheblichkeit der Aussage eines Arztes; Aufklärung der werdenden Mutter über die Möglichkeit einer Chorionzottenbiopsie
Leitsatz (amtlich)
1. Im Interesse der Waffengleichheit zwischen Arzt und Patient darf einer Anhörung des Arztes bei der Beweiswürdigung ggü. der Aussage des infolge von Abtretung seiner Ansprüche als Zeuge vernommenen Patienten nicht von vornherein jede entscheidungserhebliche Bedeutung abgesprochen werden.
2. Der Gynäkologe ist im Regelfall nicht verpflichtet, die werdende Mutter neben der Amniozentese auch über die Möglichkeit einer Chorionzottenbiopsie aufzuklären, da diese ggü. der Amniozentese ein höheres Fehlgeburtsrisiko bei einer wesentlich erhöhten Rate von unklaren Befunden aufweist.
Normenkette
BGB § 823; ZPO §§ 141, 445 ff.
Verfahrensgang
LG Traunstein (Urteil vom 15.06.1999; Aktenzeichen 2 O 1080/98) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten hin wird das Endurteil des LG Traunstein vom 15.6.1999 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger nimmt den Beklagten aus eigenem und abgetretenem Recht wegen fehlerhafter Behandlung und Beratung der Ehefrau des Klägers während der Schwangerschaft auf Schadenersatz in Anspruch.
Der Kläger ist der Vater der am 5.10.1996 geborenen … . … ist infolge einer freien, nicht vererblichen Trisomie 21 insb. geistig erheblich behindert.
Während der Schwangerschaft wurde die (spätere) Ehefrau des Klägers und Mutter des Kindes, …, vom Beklagten, einem niedergelassenen Frauenarzt, gynäkologisch betreut. Am 18.3.1996, der Kläger war nicht mit anwesend, teilte Frau … dem Beklagten mit, dass der Onkel ihres Bruders mongoloid ist. Bei diesem Gespräch und bei einem weiteren Gespräch am 25.4.1996, an dem auch der Kläger teilnahm, sprach der Beklagte mit Frau … bzw. dem Kläger über die Vererblichkeit von Trisomien und die Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik von Chromosomenanomalien. Die Einzelheiten sind zwischen den Parteien str. Über die Chorionzottenbiopsie unterrichtete der Beklagte die werdende Mutter und den Kläger nicht. Während der Schwangerschaft wurden weder eine Chorionzottenbiopsie noch eine Amniozentese vorgenommen. Auch ein Triple-Test wurde nicht durchgeführt.
Der Onkel von Frau … leidet, was dem Beklagten während der Schwangerschaft allerdings nicht bekannt war, ebenfalls an einer freien, nicht vererblichen Trisomie 21.
Die Zeugin … und der Kläger heirateten am 17.5.1996. Nach der Geburt eines behinderten Kindes trennten sich die Eheleute … am 6.3.1998. Sie sind zwischenzeitlich geschieden.
Der Kläger hat im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht, dass der Beklagte das statistische Verhältnis zwischen dem Risiko, dass Frau … ein mongoloides Kind zur Welt bringt, und der Wahrscheinlichkeit einer durch die Amniozentese verursachten Fehlgeburt falsch dargestellt habe. Der Beklagte habe von der Durchführung einer Fruchtwasseruntersuchung abgeraten, da das damit verbundene Fehlgeburtsrisiko höher sei als das Risiko von Frau …, ein mongoloides Kind zur Welt zu bringen. Außerdem habe der Beklagte die Eltern nur unzureichend über die Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik von Chromosomenanomalien unterrichtet.
Der Beklagte habe auf die Mitteilung der Mutter vom 18.3.1996, dass ihr Onkel mongoloid sei, nur abgewunken und die Frage, ob diesbezüglich etwas zu veranlassen sei, verneint. Der Beklagte habe unzutreffenderweise behauptet, dass Mongolismus nicht vererbbar sei. Er wäre verpflichtet gewesen, auch auf die Möglichkeit einer vererblichen Translokationstrisomie hinzuweisen.
Der Beklagte habe es auch versäumt, auf den Triple-Test, der eine Risikopräzisierung erlaube, sowie auf die Möglichkeit einer Ultraschalluntersuchung mittels Dopplersonographie hinzuweisen. Die vom Beklagten durchgeführten Ultraschalluntersuchungen seien, da der Beklagte ein veraltetes Gerät benutzt habe, nicht geeignet gewesen, die typischen Behinderungen eines mongoloiden Kindes zu erkennen. Da Triple-Test und Ultraschalluntersuchung völlig risikolos seien, sei der Beklagte verpflichtet gewesen, Frau … diese Untersuchungen zu empfehlen.
Die unzureichende Beratung durch den Beklagten sei ursächlich dafür gewesen, dass die Mutter die Schwangerschaft nicht habe abbrechen lassen. Wenn der Beklagte die Mutter zureichend über ihr Risiko, ein mongoloides Kind zur Welt zu bringen, und insb. darüber informiert hätte, dass es auch vererbliche Formen der Trisomie gebe, hätte diese sämtliche zu Gebot stehenden Untersuchungsmöglichkeiten wahrgenommen. In diesem Fall wäre die Behinderung des Kindes erkannt worden, woraufhin die Mutter die Schwangerschaft hätte unterbrechen lassen.
Der Kläger hat in erster Instanz beantragt:
1. Der Beklagte wird verurteilt, ab Zustellung der Klage an den Kläger im Wege des Schadensersatzes für dessen Tochter …, geboren am 5.10.1996, einen monatlichen Unterhalt in Hö...