Entscheidungsstichwort (Thema)
abgestimmtes Verhalten zur Kontrollerlangung und Kontrollwechsel im Rahmen des WpüG
Leitsatz (amtlich)
1. Unter einem abgestimmten Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft i.S.d. § 30 Abs. 2 S. 1 WpüG ist eine nachhaltige Einflussnahme auf die Geschäftsführungs- und Aufsichtsorgane einer Zielgesellschaft ausschließlich oder überwiegend im Sinne der Einfluss nehmenden Personen auf Grund deren gemeinsam gefundener Überzeugung und entsprechenden Einsatzes von Stimmrechten zu verstehen.
2. Eine Vorabstimmung unter Aktionären bei Wahlen zum Aufsichtsrat oder Aufsichtsratsvorsitz fällt unter abgestimmmtes Verhalten i.S.d. § 30 Abs. 2 S. 1 WpüG, wenn ihr eine gemeinsame unternehmerische Strategie für die AG zugrunde liegt.
3. Eine Änderung in der Kontrollperson stellt einen Kontrollwechsel i.S.d. WpüG dar.
Normenkette
WpüG § 29 Abs. 2, § 30 Abs. 1-2, § 35 Abs. 1-2, § 38
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 11.03.2004; Aktenzeichen 5 HKO 16972/03) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG München I vom 11.3.2004 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 200.000 EUR zu zahlen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte, die durch die Nebenintervention entstandenen Kosten die Streithelferin selbst zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 250.000 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt mit ihrer Teilklage über 200.000 EUR die Beklagte wegen Unterlassens einer Veröffentlichung und eines Pflichtangebotes nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz vom 20.12.2001 (WpüG) auf Zahlung von Zinsen auf die Gegenleistung für von ihr gehaltene Aktien in Anspruch.
Die Parteien und die Streithelferin sowie die W. sind unmittelbar oder mittelbar über Tochtergesellschaften Großaktionäre der der Unternehmensmitbestimmung unterliegenden X. AG. Das Grundkapital der X. AG ist eingeteilt in nennwertlose und zum amtlichen Handel an mehreren deutschen Börsen zugelassene Inhaber-Stückaktien, und zwar in stimmberechtigte Stammaktien und nicht stimmberechtigte Vorzugsaktien. Während letztere vollständig in Streubesitz sind, halten von den Stammaktien die Klägerin, hinter der Sch. und seine Familie stehen, 33,36 %, die Beklagte über die L. Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH 17 %, die Streithelferin der Beklagten selbst und über die L. Beteiligungs GmbH 17,56 % und die W. zunächst über die B. Beteiligungs-GmbH und jetzt über die L. AG 17 %. Die Unternehmensgruppe des Sch. hatte 1986 zunächst die Mehrheit am stimmberechtigten Kapital der X. AG übernommen und hiervon 1993 an die Beklagte, deren Streithelferin und die W. die von diesen heute noch gehaltenen Anteile veräussert. Die Klägerin und die drei sich als Finanzinvestoren bezeichnenden weiteren Großaktionäre hatten daraufhin am 8., 10. und 12.12.1993 eine Vereinbarung geschlossen, in der sie sich nicht nur gegenseitig Vorkaufsrechte auf ihre jeweiligen Aktien an der X. AG einräumten, sondern auch überein kamen, dass die Klägerin zwei Mitglieder und die Finanzinvestoren je ein Mitglied des insgesamt 12-köpfigen Aufsichtsrats der X. AG stellen und ein von den Finanzinvestoren nominiertes Mitglied zum Vorsitzenden und ein von der Klägerin nominiertes Mitglied zum zweiten stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrates gewählt wird. Diese Vereinbarung hoben die Beteiligten Ende März mit Wirkung zum 31.3.2003 ersatzlos auf. Gleichzeitig vereinbarten sie, bei der Wahl des Aufsichtsrates der X. AG in der Hauptversammlung am 26.6.2003 erneut für Frau Sch., die Ehefrau von Sch., M. als weitere Vertrauensperson von Sch., H., Mitglied des Vorstandes der Beklagten, und K., pensioniertes Mitglied des Vorstandes der Streithelferin und damals Aufsichtsratsvorsitzender der X. AG, sowie neu für den noch als Vorstandsvorsitzender der X. AG amtierenden A. und Ha., Vorstandsvorsitzender der W., als die sechs Vertreter der Anteilseigner zu stimmen (Anl. K12). Entsprechend wurden diese Personen dann auch so bestellt. In der konstituierenden Sitzung des neugewählten Aufsichtsrates am 26.6.2003 wurden auch mit den Stimmen von Frau Sch. und M. der als Vorstandsvorsitzender nunmehr ausgeschiedene A. zum Vorsitzenden und M. zum zweiten stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. A. war zu diesem Zeitpunkt auch noch Vorsitzender des Aufsichtsrates der Y. AG. Von deren Grundkapital halten die X. AG 24,9 % sowie die Beklagte und ihre Streithelferin je 28,91 %.
Die Beklagte, ihre Streithelferin oder die W. haben weder eine Erlangung der Kontrolle nach § 35 Abs. 1 S. 1 WpüG noch ein Angebot nach § 35 Abs. 2 S. 1 WpüG in Bezug auf die X. AG veröffentlicht.
Die Klägerin behauptet, die drei Finanzinvestoren hätten dies tun müssen. Diese hätten sich auf Veranlassung der Bekla...