Entscheidungsstichwort (Thema)
Zumutbare Rechtsverfolgung im EU-Ausland von DNS-Sperrungen
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Anspruch gegen Zugangsvermittler auf Einrichtung einer DNS-Sperren besteht nur, wenn der Rechteinhaber zuvor alle zumutbaren Maßnahmen ausschöpft, um die Aufdeckung der Identität des Betreibers der Webseite oder des Host-Providers zu erreichen. (Rn. 36 - 39)
2. Die vorherige gerichtliche Inanspruchnahme eines in der Europäischen Union ansässigen Host-Providers mit dem Ziel, Auskünfte über die Identität rechtsverletzender Dienstebetreiber zu erhalten, ist im Rahmen von § 7 IV TMG grundsätzlich als zumutbar anzusehen. (Rn. 40 - 49)
Normenkette
TMG § 7 Abs. 4; UrhG § 2 Abs. 1 Nr. 1, §§ 19a, 97 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 25.10.2019; Aktenzeichen 21 O 15007/18) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 25.10.2019, Az. 21 O 15007/18, berichtigt mit Beschluss vom 30.03.2020, dahingehend abgeändert, dass die Klage abgewiesen wird.
II. Die Anschlussberufung der Klägerinnen wird zurückgewiesen.
III. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Ansprüche auf eine Sperre von Internetseiten im Zusammenhang mit den Diensten "LibGen" und "Sci-Hub".
Die Klägerinnen sind Wissenschaftsverlage aus den USA, Großbritannien und Deutschland. Die Beklagte ist ein Telekommunikationsunternehmen mit Sitz in Bonn, das sowohl selbst als Internetzugangsprovider für Endkunden agiert als auch Internetzugänge für andere Serviceprovider bereitstellt.
Im Internet sind die Portale "LibGen" und "Sci-Hub" abrufbar, auf denen unter anderem wissenschaftliche Artikel und Bücher zu finden sind.
Die Klägerinnen behaupten, ihnen stünden jeweils die ausschließlichen Nutzungsrechte an den auf den Seiten 4 bis 6 des landgerichtlichen Urteils (Bl. 235/237 d.A.) wiedergegebenen wissenschaftlichen Artikeln und Büchern zu.
Die Klägerinnen behaupten weiter, im August 2019 seien auf dem Dienst "LibGen" sämtliche streitgegenständlichen Titel sowie auf dem Dienst "Sci-Hub" die Titel 1, 4, 5, 9, 10, 11, 12 und 13 ohne Zustimmung der Rechteinhaber öffentlich zugänglich gemacht worden und hätten dort abgerufen werden können, obwohl sie erst kurz zuvor von den jeweiligen Klägerinnen veröffentlicht worden waren.
Die Klägerinnen behaupten, sie hätten zur Identifizierung und Inanspruchnahme der Betreiber von "LibGen" und "Sci-Hub" erfolglos eine Vielzahl von Maßnahmen in die Wege geleitet. Die Betreiber von "LibGen" hätten dabei nicht identifiziert werden können. Die mutmaßliche Betreiberin von "Sci-Hub" mit dem Namen ... trete zwar öffentlich auf, eine genaue Identifizierung dieser Person sei aufgrund ihres mutmaßlichen Wohnsitzes in Kasachstan jedoch nicht möglich. Eine Rechtsverfolgung sei nicht erfolgversprechend, was sich auch daran zeige, dass ein US-amerikanisches Schadensersatzurteil über 15 Mio. US-Dollar gegen sie nicht vollstreckt werden könne. Auch ein Vorgehen gegen "LibGen" sei nicht möglich, zumal auch dort ein US-amerikanisches Unterlassungsurteil nicht vollstreckt werden könne und Abmahnungen an E-Mail-Adressen ohne Reaktion geblieben seien. Ermittlungen in Russland, wo die Verantwortlichen zu vermuten seien, seien nicht erfolgversprechend.
Ein Vorgehen gegen die Host-Provider habe ebenfalls keine Erfolgsaussichten. Abmahnungen und Notifizierungsschreiben blieben unbeantwortet. Teilweise würden die Host-Provider auch gewechselt oder es handle sich um sogenannte "Bullet-Proof"-Provider, bei denen die fehlende Kooperation mit Behörden oder Rechteinhabern zum Geschäftsmodell gehöre.
Die Klägerinnen sind der Auffassung, sie könnten eine Sperre des Zugangs zu den Diensten "Lib-Gen" und "Sci-Hub" im Wege einer DNS-Blockierung begehren.
Die Beklagte ist der Auffassung, die Klägerinnen seien mangels urheberrechtlicher Rechtspositionen für jeweils alle Werke nicht aktivlegitimiert. Es sei ihnen verwehrt, einen einheitlichen Antrag zu stellen.
Die Beklagte leiste als Zugangsprovider keinen willentlichen und adäquat kausalen Tatbeitrag, wenn Rechtsverletzungen im Internet begangen würden. Sie könne auch keine Inhaltskontrolle von Webseiten durchführen und auf individuelle und autonome Willensentschlüsse der Internetnutzer im Hinblick auf urheberrechtlich geschütztes Material keinen Einfluss nehmen.
Die DNS-Sperren seien ungeeignet, die Störung zu beseitigen, da sie nichts daran änderten, dass die Dienste im Internet verfügbar seien und sie leicht von den Nutzern umgangen werden könnten. Das notwendige manuelle Einpflegen von Sperren s...