Leitsatz (amtlich)

1. Der in einer Formularbürgschaftsurkunde enthaltene Verzicht auf die Einreden der Anfechtung, der Aufrechnung und der Vorausklage erfasst nicht die Anfechtung durch den Insolvenzverwalter nach den §§ 130 ff. InsO.

2. Zur Haftung der Bank aus culpa in contrahendo des Bürgschaftsvertrags, wenn sie in Kenntnis der drohenden Insolvenz ihres Kreditnehmers für diesen eine Bürgschaftserklärung unter Verzicht auf die Einrede der Anfechtbarkeit erteilt, ohne den Gläubiger auf die Anfechtbarkeit des Bürgschaftsvertrags durch den Insolvenzverwalter nach den §§ 130 ff. InsO hinzuweisen.

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 10.11.2005; Aktenzeichen 3 HKO 11703/05)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des LG München I vom 10.11.2005 dahin abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 24.699 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8.2.2005 zu bezahlen.

Im Übrigen werden die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 9/10 und die Beklagte 1/10.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer selbstschuldnerischen Zahlungsbürgschaft über 240.000 EUR in Anspruch und stützt die Klageforderung hilfsweise auf einen Schadensersatzanspruch.

Die Klägerin hat an die W.-AG, Niederlassung SF-Baudirektion Süd-West, für verschiedene Bauvorhaben Beton geliefert. Sie macht aufgrund dieser Lieferungen offene, in der Zeit vom 23.11.2004 bis 8.3.2005 fällige Einzelforderungen mit einem Gesamtbetrag von 312.713,54 EUR geltend (Anlage C zur Klageschrift).

Die Klägerin hatte mit Schreiben an die W.-AG vom 14.12.2004 (Anlage B 18) unter Bezugnahme auf den bei dem Gespräch vom 6.12.2004 gegebenen Hinweis der Mitarbeiter der W.-AG, Hi., Ri. und Ei., auf die schwierige Zahlungssituation dieser Gesellschaft und der Angabe, dass sich per 10.12.2004 die offenen Posten der Klägerin ggü. der W.-AG auf einen Betrag von 325.236,98 EUR belaufen haben, eine letzte Nachfrist zur Zahlung der überfälligen Beträge bis zum 17.12.2004 gesetzt und die Einstellung der Belieferung bei Nichtzahlung innerhalb der Frist angekündigt. Die Klägerin stellte der W.-AG in Aussicht, die Lieferungen fortzusetzen und Ratenzahlung hinsichtlich eines Teilbetrages von 188.000 EUR zu gewähren, falls die W.-AG eine Zahlungsbürgschaft zur Sicherung des erstrangigen Teilbetrages von 188.000 EUR für die per 6.12.2004 bestehenden offenen Forderungen stellt, die übrigen Forderungen aus den bisherigen und laufenden Lieferungen innerhalb der vereinbarten Fälligkeiten bezahlt und eine weitere Zahlungsbürgschaft bis zu einem Höchstbetrag von 200.000 EUR zur Sicherung von Forderungen der Klägerin aus der Geschäftsverbindung zwischen der Klägerin und der W.-AG vorlegt.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 20.12.2004 (Anlage 2 D) unter Bezugnahme auf die am 16.12.2004 getroffenen mündlichen Absprachen bestätigt, dass sie an der Fristsetzung für ihre Leistungseinstellung nicht festhält, per 14.12.2004 ein fakturierter Außenstand von rund 325.000 EUR bestanden hat und im Hinblick auf die Liquiditätsengpässe der W.-AG dieser Ratenzahlung von jeweils 80.000 EUR gewährt wird unter der Voraussetzung, dass bis 23.12.2004 einen schriftliche Zahlungsbürgschaft eines Kreditinstituts bis zu einem Höchstbetrag von 240.000 EUR zur Sicherung von bereits entstandenen und künftig entstehenden Forderungen nebst Zinsen und Kosten der Klägerin gegen die W.-AG vorgelegt wird.

Die Beklagte verbürgte sich ggü. der Klägerin unter Verzicht auf die Einreden der Anfechtbarkeit, der Aufrechenbarkeit und der Vorausklage (§ 770, § 771 BGB) für die vertragsmäßige Erfüllung der von der W.-AG mit Vertrag von 16.12.2004 wegen "Betonlieferungen im Großraum Frankfurt" ggü. der Klägerin übernommenen Verbindlichkeiten bis zu einer Geldforderung von insgesamt 240.000 EUR als Selbstschuldnerin (Anlage 1). Die Bürgschaftsurkunde ist ausweislich der Bestätigung (Anlage 2e) am 21.12.2004 bei der Beklagten eingegangen.

Die W.-AG, die dem Schreiben der Klägerin vom 20.12.2004 (Anlage K 2d) nicht widersprochen hatte, überwies der Klägerin am 21.1.2005 80.000 EUR. Weitere Zahlungen erfolgten nicht. Am 1.2.2005 stellte die W.-AG Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Klägerin kündigte mit Schreiben vom 3.2.2005 (Anlage K 2a) die Vereinbarung über Betonlieferungen und die "Vereinbarung vom 16.12.2004 gemäß unserem Bestätigungsschreiben vom 20.12.2004". Die Klägerin nahm die Beklagte mit Schreiben vom 3.2.2005 (Anlage K 2) aus der Bürgschaft in Anspruch. Eine Zahlung erfolgte nicht.

Mit Schreiben vom 3.6.2005 (Anlage B 1) hat der Insolvenzverwalter der W.-AG ggü. der Klägerin den Bürgs...

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