Entscheidungsstichwort (Thema)
Rettungsdienstleistungen V
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Begriff des Bieters.
Der Begriff des Bieters knüpft allgemein an einen formellen Status in einem Vergabeverfahren an: Bieter ist derjenige Beteiligte an einem Vergabeverfahren, der ein auf einen Vertragsschluss gerichtetes Angebot gelegt hat.
Bieter i.S.v. § 13 VgV ist ein Beteiligter des Vergabeverfahrens, der Träger subjektiver Rechte ist und dem grundsätzlich ein Zugang zum Nachprüfungsverfahren zur Durchsetzung dieser Rechte eröffnet ist.
(hier: zur Bieterstellung eines Unternehmens, welches nach Ablauf der Angebotsfrist, jedoch vor Zuschlagserteilung ein Angebot abgegeben hat sowiezu einer der Bieterstellung entsprechenden Stellung eines Unternehmens, welches innerhalb der Angebotsfrist geltend gemacht hat, durch die Ausschreibungsbedingungen an der Abgabe eines chancenreichen Angebotes gehindert worden zu sein).
2. Der Vergabestelle, die sich auf eine Präklusion der Rüge berufen möchte, obliegt der Nachweis einer Überschreitung der Rügefrist und mithin der Nachweis eines früheren Zeitpunktes der Erlangung der positiven Kenntnis vom gerügten Vergabeverstoß, als vom Antragsteller eingeräumt. Für diesen Nachweis genügt ein bloßes Bestreiten der Angaben des Antragstellers nicht.
Nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB a.F. war es jedem Interessenten an der Ausschreibung überlassen, wann er mit der Bearbeitung der Verdingungsunterlagen beginnt; bindend war lediglich die Angebotsfrist als Ausschlussfrist für die Abgabe eines wertungsfähigen Angebotes.
3. Bei der Auswahl der Zuschlagskriterien dürfen nur leistungsbezogene Kriterien Berücksichtigung finden. Aus Gründen des fairen Wettbewerbs, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz muss abstrakt ausgeschlossen sein, dass ein "Weniger" an Wirtschaftlichkeit eines Angebotes durch ein "Mehr" an Eignung ausgeglichen wird und zu einer Veränderung der Bieterreihenfolge führen kann.
Verfahrensgang
1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt LSA (Beschluss vom 09.06.2009; Aktenzeichen 1 VK LVwA 13/09, 1 VK LVwA 21/09) |
Tenor
Auf Antrag der Antragstellerin wird der Beschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 9.6.2009 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen geschlossene Vertrag über die o.a. Leistungen nichtig ist.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, das bisherige Vergabeverfahren aufzuheben.
Der Antragsgegner wird weiter verpflichtet, bei Fortbestehen der Absicht der Beschaffung von Dienstleistungen der Notfallrettung und des qualifizierten Krankentransportes (Rettungsdienst) von einem Dritten zur Auftragserteilung ein (neues) Vergabeverfahren nach §§ 97, 101 GWB unter Beachtung der Rechtsansichten des Senats durchzuführen.
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin in diesem Verfahren haben der Antragsgegner und die Beigeladene als Gesamtschuldner zu tragen.
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer bleiben auf 13.060,05 EUR festgesetzt.
Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin für das Verfahren vor der Vergabekammer wird für notwendig erklärt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin haben der Antragsgegner und die Beigeladene je zur Hälfte zu tragen. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
Der Kostenwert des Beschwerdeverfahrens wird auf eine Gebührenstufe bis 800.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsgegner, eine kommunale Gebietskörperschaft und Aufgabenträger für den Rettungsdienst in seinem Hoheitsbereich, schrieb im Mai 2008 den oben genannten Dienstleistungsauftrag EU-weit im Offenen Verfahren auf der Grundlage der Verdingungsordnung für Leistungen (VOL) - Ausgabe 2006 - zur Vergabe aus. Der Auftrag war in zwei Gebietslose unterteilt. Nebenangebote waren ausgeschlossen. Die Vertragslaufzeit soll sechs Jahre - vom 1.7.2009 bis zum 30.6.2015 - andauern. Der Netto-Auftragswert wurde auf etwa 3 Mill. EUR jährlich geschätzt.
Die Vergabebekanntmachung enthielt als Teilnahmebedingungen u.a. die Forderung eines Nachweises der Qualifikation des jeweils einzusetzenden Personals (Ziff. III. 2.2), dort a.E.) und eines Nachweises der Einsatzfahrzeuge entsprechend der näheren Vorgaben des Leistungsverzeichnisses. Nach Ziff. IV. 2.1) sollte der Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot nach folgenden Kriterien erteilt werden:
"1. Preis Gewichtung: 40 %
2. Mitarbeit bei Großschadenslagen und Massenanfall von Verletzten 35 %
3. Erfahrung im Rettungsdienst 10 %
4. Qualitätsmanagement 5 %
5. Qualifikation des Personals 5 %
6. Arbeitszeit des Personals 5 %"
Die Angebotsfrist lief bis zum 17.7.2008.
Insgesamt forderten fünf Teilnehmer die Verdingungsunterlagen ab, darunter auch die Antragstellerin. Sie erhielt die Verdingungsunterlagen spätestens zum 2...