Entscheidungsstichwort (Thema)
Luftbild
Leitsatz (amtlich)
1. Die Obliegenheit zur unverzüglichen Rüge eines vermeintlichen Vergaberechtsverstoßes bezieht sich nicht nur auf die Absendung der Rüge, sondern auch auf die Wahl des Absendemittels. Eine schuldhafte Verzögerung i.S.v. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB i.V.m. § 121 Abs. 1 S. 2 BGB liegt auch vor, wenn der Bieter nicht diejenige Form der Übermittlung wählt, die im Einzelfall geboten ist, um den berechtigten Interessen der anderen Beteiligten des Vergabeverfahrens an einer möglichst schnellen Klärung vermeintlicher Vergabefehler Rechnung zu tragen.
2. Es kann geboten sein, eine Rüge nicht auf dem einfachen Postwege, sondern per Telefax oder in einer anderen beschleunigten Form zu übermitteln (z.B. Eilbrief, Bote, elektronische Post). Ein solcher Fall ist jedenfalls dann gegeben, wenn seit dem Zugang von Informationen, aus denen letztlich auf den vermeintlichen Vergabemangel geschlossen wird, annähernd zwei Wochen vergangen sind, wenn außerdem der Ablauf der Frist des § 13 S. 5 VgV bei Absendung der Rügeschrift kurz bevorsteht und anzunehmen ist, dass die Übermittlung per Post zu einer Verzögerung des Zugangs der Rügeschrift um mehrere Tagen führen wird.
Verfahrensgang
Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 11.11.2004; Aktenzeichen 1 VK LVwA 62/04) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 11.11.2004 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Auslagen der Antragsgegnerin. Etwaige Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.
Der Streitwert für die Gebührenberechnung im Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 70.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Mit der Veröffentlichung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 26.5.2004 schrieb die Antragsgegnerin im Wege des offenen Verfahrens die Vergabe einer landesweiten digitalen Luftbildbefliegung und Auswertung der Bilddaten nach Biotoptypen und Nutzungstypen auf Grundlage der VOL in zwei Losen aus. Für das Los 2, das Gegenstand des vorliegenden Nachprüfungsverfahrens ist, gingen bis zum Ablauf der Angebotsfrist am 8.7.2004 neun Angebote ein.
Mit Schreiben vom 16.8.2004 informierte die Vergabestelle die unterlegenen Bieter umfassend über das Ergebnis ihrer Wertung und teilte ihnen mit, dass sie beabsichtige, den Zuschlag an die Beigeladene zu erteilen. Der Antragstellerin wurde dabei mitgeteilt, dass ihr Angebot nicht habe berücksichtigt werden können, da sie trotz eines günstigen Angebotspreises in der vorgelegten Arbeitsprobe nicht die entsprechende Qualität nachgewiesen habe.
Nach einer umfangreichen Analyse des Wertungsergebnisses unter Einschaltung von Fachleuten kam die Antragstellerin am 24.8.2004 zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung der Antragsgegnerin vergaberechtswidrig sei. Die Bewertung der Arbeitsproben sei unterschiedlich und willkürlich durchgeführt worden. Außerdem lägen zwei Angebote vor, die hinsichtlich aller Einzelpreise identisch seien, so dass der Verdacht einer unzulässigen Preisabsprache bestehe.
Diese Mängel des Wertungsverfahrens rügte die Antragstellerin ggü. der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 27.8.2004, dass sie an demselben Tag, einem Freitag, gegen 14:30 Uhr zur Post gab. Wie von der Antragstellerin erwartet, ging die Rüge mit dem normalen Postlauf erst am 30.8.2004 bei der Antragsgegnerin ein.
Am gleichen Tage ging der Vergabekammer der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zu, in welchem sie die gerügten Mängel zur Überprüfung stellte.
Mit Beschl. v. 18.11.2004 hat die 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt den Nachprüfungsantrag als unzulässig verworfen, da die Antragstellerin die von ihr vorgebrachten Vergabeverstöße nicht unverzüglich i.S.d. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB gerügt habe. Sie habe zwar glaubhaft machen können, dass sie den Rückschluss auf die vermeintliche Rechtswidrigkeit der Wertung der Vergabestelle erst nach Hinzuziehung von internen und externen Fachberatern am 24.8.2004 habe ziehen können. Es stelle jedoch eine schuldhafte Verzögerung i.S.d. § 121 BGB dar, dass die Antragstellerin daraufhin ihr Rügeschreiben vom 27.8.2004 nicht per Telefax übermittelt hat, sondern das Schreiben an einem Freitagmittag auf den Postweg gab, obwohl der Ablauf der Frist des § 13 S. 5 VgV unmittelbar bevorstand.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin. Sie ist der Auffassung, dass ihre Rüge nicht verfristet gewesen sei. Ein allgemeiner Rechtssatz, dass nur die schnellstmögliche Übermittlungsmethode den gesetzlichen Anforderungen genüge und eine Rüge deshalb per Telefax oder per Boten zu versenden sei, existiere nicht. Die Beschwerdeführerin habe eine Übermittlungsart gewählt, bei der sie nicht mit einer Verzögerung des Entscheidungsablaufs der Beschwerdegegnerin habe rechnen müssen, da ihre Rüge durch die Antragsgegnerin am Wochenende ohnehin nicht b...