Leitsatz (amtlich)
Für Gastwirte kann eine erhöhte Räum- und Streupflicht bestehen, sofern sie durch ihren Gewerbebetrieb einen erweiterten Verkehr eröffnen. Demnach muss ein Gastwirt, wenn eine außergewöhnliche Glättebildung es erfordert, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sehr viel häufiger streuen als dies von einem Hauseigentümer für den Gehweg vor seinem Haus gegenüber Passanten verlangt werden kann.
Für einen Gastwirt, der eine Silvesterparty in seiner Gaststätte durchführt, endet die Räum- und Streupflicht nicht wie an sich von der gemeindlichen Satzung vorgesehen um 20 Uhr, sondern besteht solange die Veranstaltung andauert. Hat ein Geschädigter den Zustand der Straße erkannt und sich "zum Luft schnappen" gleichwohl darauf begeben, ist ihm ein erhebliches Mitverschulden anzulasten (hier mit 2/3 angenommen). Da sich die gesteigerte Verkehrssicherungspflicht des Gastwirtes gerade auch auf alkoholisierte Gäste bezieht, führt eine Alkoholisierung eines Gastes allenfalls zu einem Mitverschulden wenn sie so hoch ist, dass sie zu feststellbaren Ausfallerscheinungen führt (hier verneint).
Verfahrensgang
LG Stendal (Urteil vom 09.11.2012; Aktenzeichen 21 O 317/11) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das am 9.11.2012 verkündete Urteil des LG Stendal wie folgt abgeändert:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.666,67 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 17.5.2011 zu zahlen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 384,06 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 17.5.2011 zu zahlen.
3. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 359,50 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 4.1.2012 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt der Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3.
IV. Dieses Urteil und das Urteil der ersten Instanz, soweit die Berufung zurückgewiesen wurde, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird festgesetzt auf 9.418, 25 EUR.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Schadenersatzansprüche des Klägers wegen eines Unfalls, der sich am 31.12.2010 vor dem Eingang zu der Gaststätte "S. " des Beklagten in G. ereignete. Der Kläger, der als Gast an einer von dem Beklagten in der Gaststätte veranstalteten Silvesterparty teilgenommen hatte, war gegen 23:00 Uhr vor die Gaststätte getreten, um frische Luft zu schnappen und war in der Nähe des Eingangs wegen Eisglätte ausgerutscht und gestürzt. Dabei zog er sich eine Rotatorenmanschettenruptur zu. Der Kläger machte einen Schmerzensgeldanspruch in einer Größenordnung von 8.000 EUR, Verdienstausfall i.H.v. 1.418,25 EUR, sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 775,64 EUR geltend.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes der ersten Instanz wird auf den Tatbestand des am 9.11.2012 verkündeten Urteils der Einzelrichterin der Zivilkammer 1 des LG Stendal, Bl. 134 ff. d.A., Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Das LG gab der Klage ganz überwiegend mit Ausnahme eines Teilbetrages von 266,07 EUR von dem geltend gemachten Verdienstausfallschaden statt.
Der Beklagte sei seiner Räum- und Streupflicht in dem Bereich vor der Gaststätte pflichtwidrig nicht ausreichend nachgekommen. Dem Beklagten habe es als Eigentümer des Grundstücks, auf dem sich die Gaststätte "S. " befunden habe, nach § 4 Abs. 2 der gültigen Straßenreinigungssatzung der Hansestadt G. oblegen, den Winterdienst in der Straße "W. Promenade" nachzukommen. Nach den Regelungen der Satzung seien Gehwege in einer für den Fußgängerverkehr erforderlichen Breite, jedoch mindestens in einer Breite von 1,5 m, von Schnee und Eis freizuhalten. Diese Pflicht gelte für Anwohner grundsätzlich innerhalb einer Zeit von 07:00 bis 20:00 Uhr. Darüber hinaus habe den Beklagten als Gastwirt eine gesteigerte Verkehrssicherungspflicht getroffen. Der Beklagte sei als Gastwirt im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren verpflichtet gewesen, den Gästen einen von Schnee und Glatteis freien Zugang zu seinem Lokal zu verschaffen. Insoweit gelte, dass die Räum- und Streupflicht sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht gesteigert sei. Nach der Rechtsprechung müsse ein Gastwirt sowohl den Zugang zur Gaststätte freihalten als auch beispielsweise auf dem Gästeparkplatz streuen und dann den Zugang von dort zur Gastwirtschaft freihalten. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme sei das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger in einem Bereich gestürzt sei, in welchem dem Beklagten die Räum- und Streupflicht oblegen habe. Das Gericht ging dabei davon aus, dass der Gesamtbereich der "W. Promenade" unmittelbar gegenüber dem Eingangsbereich,...