Leitsatz (amtlich)
Ist bei einer Krankenversicherung das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen, kann der Versicherungsnehmer vom Versicherer nach Treu und Glauben Auskunft über die in der Vergangenheit stattgefundenen Neufestsetzungen der Prämie verlangen.
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 30.07.2021; Aktenzeichen 5 O 417/20) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufungen der Parteien wird das am 30. Juli 2021 verkündete Teilurteil des Landgerichts Halle teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.363,16 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.12.2020 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den der Kläger auf die Beitragserhöhungen in der bei der Beklagten bestehenden Kranken-/Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer KV ... im Tarif AV 02 ab dem 01.04.2017 und 01.04.2018 jeweils bis 31.12.2018 gezahlt hat.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft über alle Beitragsanpassungen zu erteilen, die die Beklagte in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag in den Jahren 2011, 2012, 2013, 2014, 2015, 2016 zur Versicherungsnummer KV ... vorgenommen hat und hierzu geeignete Unterlagen zur Verfügung zu stellen, in denen mindestens die folgenden Angaben enthalten sind:
- die Höhe der Beitragserhöhungen für die Jahre 2011, 2012, 2013, 2014, 2015, 2016 unter Benennung der jeweiligen Tarife im Versicherungsverhältnis des Klägers,
- die dem Kläger zu diesem Zwecke übermittelten Informationen in Form von Anschreiben und Nachträgen zum Versicherungsschein der Jahre 2011, 2012, 2013, 2014, 2015, 2016 sowie
- die dem Kläger zum Zwecke der Beitragserhöhung übermittelten Begründungen sowie Beiblätter der Jahre 2011, 2012, 2013, 2014, 2015, 2016.
Im Übrigen wird die Klage, soweit das Landgericht im angefochtenen Teilurteil darüber entschieden hat, abgewiesen.
Die weitergehenden Rechtsmittel werden, bis auf den Teil der Berufung des Klägers, mit dem der Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.074,16 EUR nebst Zinsen weiterverfolgt und der als unzulässig verworfen wird, zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Kosten, einschließlich der Kosten des Berufungsrechtszuges, bleibt der Schlussentscheidung des Landgerichts vorbehalten.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung des Auskunftsanspruchs gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.500,00 EUR abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision ist zum Auskunftsanspruch des Klägers der Jahre 2011 bis 2016 zugelassen.
und beschlossen:
Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf die Gebührenstufe bis 19.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit dem 01.07.2005 eine private Kranken- und Pflegeversicherung. Nach § 8b Abs. 1 der in den Vertrag einbezogenen MB/KK (BLD 2) nimmt der Versicherer einmal jährlich für jeden Tarif einen Vergleich der erforderlichen mit den in den technischen Rechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten vor. Soweit sich danach für eine Beobachtungseinheit eines Tarifs eine Abweichung von mehr als dem gesetzlich oder tariflich festgelegten Vomhundertsatz ergibt, prüft der Versicherer alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit und passt sie, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders an.
Die Beklagte erhöhte mit Zustimmung des Treuhänders zum 01.04.2017 im Tarif AV 02 die Beitragshöhe für den Kläger von 607,17 EUR um 99,25 EUR auf 706,42 EUR und für den Mitversicherten C. M. von 250,45 EUR um 40,34 EUR auf 290,79 EUR. Hierüber informierte sie den Kläger im Nachtrag zur Versicherung vom Februar 2017 und erläuterte, dass die Änderungen auf den Allgemeinen Versicherungsbedingungen beruhten. Im Anschreiben von Februar 2017 heißt es auszugsweise:
heute informieren wir Sie darüber, dass wir zum 1. April 2017 Ihren Beitrag anpassen müssen.
Warum ändert sich Ihr Beitrag?
Der wichtigste Grund sind die gestiegenen Gesundheitskosten. Diagnose- und Therapiemethoden entwickeln sich immer weiter. Diese haben ihren Preis. Doch sie helfen Ihnen, schneller gesund zu werden. Bei vielen chronischen Erkrankungen erhöhen sie die Lebensqualität. Weitere Gründe für die Beitragsanpassung entnehmen Sie bitte der Beilage "Ein Praxisbeispiel der V.".
Mit Zustimmung des Treuhänders erhöhte die Beklagte zum 01.04.2018 im Tarif AV 02 die Beitragshöhe für den Kläger von 706,42 EUR um 30,99 EUR auf 737,41 EUR. Hierüber informierte sie den Kläger im Nachtrag zur Versicherung vom Februar 2018 und erläuterte wiederum, dass die Änderungen auf den Allgemeinen ...