Leitsatz (amtlich)
1. Ein Fahrzeughersteller, der durch das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit einer manipulierten Motorsteuerungssoftware (von dem "Dieselabgasskandal" betroffener Motor) konkludent getäuscht hat, kann von dem Fahrzeugkäufer aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach §§ 826, 31 BGB in Anspruch genommen werden.
2. Der getäuschte Käufer erleidet einen Vermögensschaden, der in dem Abschluss des Kaufvertrages zu sehen ist. Dieser Schaden entfällt nicht dadurch, dass der Käufer ein von dem Fahrzeughersteller zur Verfügung gestelltes Softwareupdate installieren lässt.
3. Dass der Käufer das Fahrzeug nicht direkt bei dem Fahrzeughersteller, sondern als Dritterwerber erworben hat, stellt den Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Schaden nicht in Frage.
4. Das Ausmaß der Schädigung, nämlich der Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Motor, der millionenfach verkauft wird, sowie das systematische Täuschen nicht nur der Kunden, sondern auch der Zulassungsbehörden, stellt sich als besonders verwerfliches Verhalten im Sinne des § 826 BGB dar.
5. Auf schlüssiges Vorbringen des klagenden Käufers zu den subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB trifft den beklagten Fahrzeughersteller die sekundäre Darlegungslast, konkreten Tatsachenvortrag zu den Umständen zu halten, aufgrund derer eine Kenntnis seines aktienrechtlichen Vorstands oder sonstiger Repräsentanten im Sinne des § 31 BGB von dem massenhaften Inverkehrbringen einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware ausscheidet.
6. Ersatzfähig sind nur die Aufwendungen, die im Vertrauen auf den Bestand des Kaufvertrages gemacht worden sind, nicht aber solche, die unmittelbar der ungestörten Nutzung des Fahrzeugs dienen.
7. Der Fahrzeugkäufer muss sich die gezogenen Fahrzeugnutzungen anrechnen lassen. Dabei kann bei einem 2,0 Liter Dieselmotor eine geschätzte Gesamtlaufleistung von 300.000 km zugrunde gelegt werden.
8. Der Schadensersatz ist in solchen Fällen nicht bereits ab dem Tag des Erwerbs des Fahrzeuges gemäß § 849 BGB zu verzinsen.
Verfahrensgang
LG Magdeburg (Urteil vom 23.05.2019; Aktenzeichen 10 O 757/18) |
Nachgehend
Tenor
Unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin im Übrigen wird das am 23. Mai 2019 verkündete Einzelrichterurteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt neu gefasst wie folgt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.497,25 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. Juli 2017 zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges VW Golf Variant 2,0 TDI, FIN: ....
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rückgabe des Fahrzeuges VW Golf Variant 2,0 TDI, FIN: ..., seit dem 8. Juni 2017 in Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 413,64 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. Juli 2017 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreites tragen die Klägerin zu 3/4 und die Beklagte zu 1/4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte als Herstellerin ihres Fahrzeuges VW Golf Variant 2,0 TDI und des darin eingebauten Dieselmotors der Baureihe EA 189 EU 5 wegen Manipulation der Software für die Bemessung der Abgaswerte durch Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch. Ferner begehrt sie die Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Pkw im Annahmeverzug befinde.
Die Klägerin schloss am 8. April 2015 als Käuferin mit der ... Leasing GmbH einen Kaufvertrag über den streitbefangenen Pkw als Gebrauchtfahrzeug zu einem Kaufpreis von 11.697,70 EUR. Das Fahrzeug war am 19. April 2012 erstzugelassen worden und wies zum Zeitpunkt der Übernahme der Klägerin eine Laufleistung von 106.000 km auf.
Verbaut ist in dem PKW ein Diesel-Motor von dem Typ EA 189. Das Fahrzeug wurde aufgrund einer entsprechenden Typengenehmigung nach der EU-Abgasnorm 5 zugelassen. Der Umfang der Stickoxidemissionen des Fahrzeuges hängt unter anderem davon ab, in welchem Umfang Abgase aus dem Auslassbereich des Motors über ein Abgasrückführungsventil in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeleitet werden: Je mehr Abgase zurückgeführt werden, desto weniger Stickoxide werden emittiert. Die das Abgasventil steuernde Software des Motorsteuerungsgeräts erkannte, ob sich das Fahrzeug innerhalb oder außerhalb der Bedingungen des zur Erlangung der Typgenehmigung durchgeführten Testlaufs nach dem NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) befindet. Befand sich das Fahrze...