Leitsatz (amtlich)

1. Einseitige Tariferhöhungen eines Trinkwasserversorgungsunternehmens nach § 4 Abs. 1 und Abs. 2 AVBWasserV unterliegen gem. § 315 Abs. 1 BGB gerichtlicher Billigkeitskontrolle (vgl. BGH, Urt. v. 13.6.2007 - VIII ZR 36/06 - Rz. 13 zitiert nach juris).

2. Bei der richterlichen Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3 BGB können neben den öffentlich-rechtlichen Grundsätzen der Gleichbehandlung, der Äquivalenz und der Kostendeckung im Einzelfall ergänzend weitere Gesichtspunkte berücksichtigt werden, um den bei der Bestimmung nach billigem Ermessen eingeräumten Spielraum auszufüllen.

3. Eine entsprechende Anwendung des § 558 Abs. 3 BGB ist jedoch ausgeschlossen, weil es sich bei dieser Norm um eine nicht analogiefähige Spezialvorschrift des Mietrechts handelt und die Wasserpreise keine Entgelte für eine Gebrauchsüberlassung, sondern Kaufpreise sind.

 

Verfahrensgang

LG Halle (Saale) (Urteil vom 25.04.2008; Aktenzeichen 5 O 74/06)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 25.4.2008 verkündete Urteil des LG Halle - 5 O 74/06 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die durch die Beklagte vorgenommene Anpassung des monatlichen Grundpreises für die Trinkwasserversorgung für den Zeitraum ab Januar 2006 ggü. der Klägerin unwirksam ist.

Die Klägerin ist eine der größten Wohnungsbaugenossenschaften in N., die Beklagte das einzige örtliche Trinkwasserunternehmen. Dieses stellt seinen Kunden einen monatlichen Grundpreis für die Bereitstellung von Trinkwasser sowie einen verbrauchsabhängigen Arbeitspreis in Rechnung. Bis zum 1.1.2006 ermittelte die Beklagte den Grundpreis nach Zählergröße und Durchflussmenge; für die Zeit danach (nur) für Haushaltskunden nach Anzahl der Wohneinheiten.

Die Klägerin hat vorgetragen, dadurch steige ihr Gesamtpreis um 70 %. Die Tarifänderung verletze den Gleichheitsgrundsatz und verstoße gegen das abgabenrechtliche Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip. Die Beklagte hat dem entgegengehalten, die Klägerin sei im Vergleich zu den Eigentümern von Einfamilienhäusern lediglich jahrelang zu Unrecht bevorzugt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen der landgerichtlichen Entscheidung verwiesen.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Preisbestimmung der Klägerin unterliege gem. § 315 Abs. 3 BGB einer Billigkeitskontrolle durch die Gerichte. Die Änderung der Tarifstruktur führe zu einer Erhöhung des von der Klägerin zu zahlenden Gesamtpreises um 70 % und sei daher unbillig, und zwar unabhängig davon, ob ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot, das Kostendeckungsprinzip oder das Äquivalenzprinzip vorliege. Insoweit könne § 558 Abs. 3 BGB entsprechend angewandt werden, wonach sich Wohnraummiete innerhalb von drei Jahren nicht um mehr als 20 % erhöhen dürfe.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie meint, die Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB dürfe nicht losgelöst von der abgabenrechtlichen Bewertung vorgenommen werden; § 558 Abs. 3 BGB sei hier als nicht analogiefähige Spezialvorschrift unanwendbar. Im Übrigen hätte das LG selbst eine Preisbestimmung vornehmen müssen.

Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung.

II. Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg, denn die von der Beklagten vorgenommene Änderung der Tarifstruktur ist nicht unbillig i.S.d. § 315 Abs. 3 BGB.

1. Einseitige Tariferhöhungen der Beklagten nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBWasserV unterliegen gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB (vgl. BGH, Urt. v. 13.6.2007 - VIII ZR 36/06, Rz. 13, zitiert nach juris).

a) § 315 Abs. 3 BGB stellt eine Regelung des Vertragsrechts dar, der ein hoher Gerechtigkeitsgehalt zukommt, und wird daher durch den rein deliktischen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch aus §§ 19 Abs. 4 Nr. 2, 33 GWB nicht verdrängt (vgl. BGH, Urt. v. 13.6.2007 - VIII ZR 36/06, Rz. 18, zitiert nach juris). Im Übrigen hat das Landeskartellamt trotz entsprechender Aufforderung durch die FDP-Fraktion im N. Stadtrat kein Missbrauchsverfahren eingeleitet, woraus zu schließen ist, dass auch kein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung i.S.d. § 19 Abs. 4 GWB vorliegt.

b) Die Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB ist auch nicht durch die hier bestehende Bindung der Beklagten an die öffentlich-rechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung, der Äquivalenz und der Kostendeckung ausgeschlossen, vielmehr soll die Billigkeitskontrolle gerade sicher stellen, dass dem Bürger nicht Entgelte für Leistungen abverlangt werden, für die bei öffentlich-rechtlicher Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses keine Abgaben erhoben werden dür...

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