Leitsatz (amtlich)

Das sog. Familienprivileg aus § 67 Abs. 2 VVG ist jedenfalls dann auch auf eine nichteheliche Lebensgemeinschaft anzuwenden, wenn sich diese einer Ehe vergleichbar verfestigt hat (im konkreten Fall: langjährige Lebensgemeinschaft mit gemeinsamer Ausübung der elterlichen Sorge für ein gemeinsames Kind; enge Verflechtung der finanziellen Verhältnisse: gemeinsames Darlehen für ein gemeinsam genutztes Einfamilienhaus).

 

Verfahrensgang

LG Halle (Saale) (Urteil vom 28.12.2006; Aktenzeichen 3 O 137/06)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 22.04.2009; Aktenzeichen IV ZR 160/07)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 28.12.2006 verkündete Urteil des LG Halle (3 O 137/06) abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision der Klägerin an den BGH wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht einen nach ihrer Meinung auf sie übergegangenen Schadensersatzanspruch geltend. Die Beklagte befuhr am 10.10.2003 mit dem Fahrzeug Mercedes Benz E 240 mit amtlichem Kennzeichen ... die Bundesstraße 180 aus Z. in Richtung N. Bei dem Versuch, einen vor ihr fahrenden Lkw zu überholen, stieß sie auf der in ihrer Fahrtrichtung linken Fahrspur mit einem in entgegengesetzter Richtung fahrenden Motorrad zusammen. Das Fahrzeug Mercedes wurde bei dem Zusammenstoß erheblich beschädigt.

Zur Zeit des Unfalls war das von der Beklagten geführte Fahrzeug Mercedes Benz E 240 bei der Klägerin kaskoversichert. Es stand im Eigentum der D. AG. Zwischen dieser und der W. GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer J. P. war, bestand ein Leasingverhältnis bezüglich des Fahrzeugs Mercedes. Das Fahrzeug wurde außer für Betriebszwecke der W. GmbH auch durch P. und die Beklagte für private Zwecke als Familienfahrzeug benutzt. Versicherungsnehmer war ausweislich des Versicherungsscheins (Bd. I Bl. 106 d.A.) J.P. Die Klägerin zahlte an den Versicherungsnehmer P. aufgrund eines Urteils des LG Halle vom 24.6.2005 (Az. 7 O 571/03, Anlage B 2, Bd. I Bl. 108 d.A.) zur Schadensregulierung 15.906,90 EUR.

Der Versicherungsnehmer P. ist der Lebensgefährte der Beklagten. P. und die Beklagte führen seit Jahren einen gemeinsamen Hausstand. Sie haben ein im Jahr 1999 geborenes gemeinsames Kind, das sie gemeinsam aufziehen.

Die Klägerin hat gemeint, sie habe gem. §§ 67, 61 VVG einen Regressanspruch gegen die Beklagte. Die Beklagte habe den Unfall grob fahrlässig verursacht. Das Familienprivileg gem. § 67 Abs. 2 VVG komme der Beklagten nicht zugute, da diese, wie unstreitig ist, mit dem Versicherungsnehmer P. nicht verheiratet sei. Zudem sei der durch den Unfall entstandene Schaden durch die W. GmbH als Leasingnehmerin zu tragen, nicht durch P. oder die Beklagte; der Regress tangiere den Familienfrieden nicht.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 15.906,90 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat gemeint, ein Regressanspruch der Klägerin bestehe nicht. Ihr sei nur ein Augenblicksversagen im Rahmen leichtester Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Unabhängig hiervon sei ein etwaiger Regressanspruch gem. § 67 Abs. 2 VVG ausgeschlossen, da die Beklagte als Familienangehörige des Versicherungsnehmers P. zu qualifizieren sei.

Das LG hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen O. St., F. J., K. J. und T. K.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 14.11.2006 (Bd. I Bl. 179 ff. d.A.) Bezug genommen.

Das LG hat der Klage mit Urteil vom 28.12.2006 (Bd. I Bl. 205 ff. d.A.) stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, im Ergebnis der Beweisaufnahme habe die Beklagte den Verkehrsunfall objektiv wie subjektiv grob fahrlässig verursacht. Der Übergang des Schadensersatzanspruchs des geschädigten Versicherungsnehmers sei nicht gem. § 67 Abs. 2 VVG ausgeschlossen, da die Beklagte und der Versicherungsnehmer nicht miteinander verwandt, nicht verschwägert, nicht verheiratet und nicht in eingetragener Lebenspartnerschaft lebend seien. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Urteil des LG Halle vom 28.12.2006 (Bd. I Bl. 205 ff. d.A.) Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung der Beklagten. Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, der Forderungsübergang auf die Klägerin sei wegen der verfestigten nichtehelichen Lebensgemeinschaft in direkter oder analoger Anwendung des § 67 Abs. 2 VVG ausgeschlossen. Außerdem hafte sie auch deshalb nicht, weil sie den Unfall nicht grob fahrlässig verursacht habe.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des LG Halle vom 28.12.2007 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurück...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge