Leitsatz (amtlich)

1. Hat ein Patient in einem Arzthaftungsprozess seine Klage in erster Instanz zunächst pauschal u.a. auf den Vorwurf unzureichender Eingriffsaufklärung gestützt und den Vorwurf im Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens fallen gelassen, so kann er diesen Klagegrund in der Berufungsinstanz nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO wieder aufgreifen. An die Annahme des Fallen-lassens von Parteivortrag sind hohe Anforderungen zu stellen (hier bejaht).

2. Das Tatgericht ist nicht gehalten, von Amts wegen auch die Krankenunterlagen des Patienten bei allen nachbehandelnden Ärzten beizuziehen, wenn sich aus dem gesamten Prozess-Stoff keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass hierin entscheidungserhebliche Informationen zu finden sein könnten.

3. Zum (fehlgeschlagenen) Nachweis der Verletzung des Nervus ilioinguinalis im Rahmen einer Operation zur Revision einer Narbe im Bauchraum.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 09.05.2006; Aktenzeichen 9 O 2462/03)

 

Tenor

Das Versäumnisurteil des Senats vom 9.5.2006 wird aufrechterhalten.

Die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden bzw. des tatsächlich vollstreckten Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagten Sicherheit in gleicher Höhe geleistet haben.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer der Klägerin übersteigt 20.000 EUR.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt von den Beklagten als Gesamtschuldnern ein angemessenes Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 50.000 EUR (Antrag zu Ziff. 1)), den Ersatz materieller Schäden (Haushaltsführung, Pflegebedarf, vermehrte Bedürfnisse und Verdienstausfall) für die Vergangenheit als Kapitalbetrag (Antrag zu Ziff. 2)) und für die Zeit ab dem 1.12.2003 als monatliche Geldrente (Antrag zu Ziff. 3)) sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige materielle und immaterielle Schäden (Antrag zu Ziff. 4)). Sie stützt ihre Klageforderungen auf einen Anspruch auf Schadenersatz wegen einer angeblich fehlerhaft und rechtswidrig durchgeführten Narbenrevision am 15.4.1999 durch den Beklagten zu 3) als Operateur im Krankenhaus der Beklagten zu 1) in der Chirurgischen Abteilung, deren Chefarzt der Beklagte zu 2) ist.

Die zum Operationszeitpunkt 48-jährige Klägerin hatte seit 1967 vier größere Eingriffe im abdominalen Bereich vornehmen lassen müssen, und zwar eine Entfernung des Blinddarms 1967, eine Unterleibsoperation 1976, eine Nierenoperation links wegen eines Tumors 1987 und eine gynäkologische Totaloperation (Entfernung der Eierstöcke und der Gebärmutter) wegen eines Tumors im Jahre 1993. Im Jahre 1993 war bereits ein Subileuszustand aufgetreten, d.h. eine langsam zunehmende Darmverschluss-Symptomatik. Im März 1999 stellte sie sich ihrem Hausarzt mit "extremen" Schmerzen im Bauchraum vor; dieser überwies sie zur Durchführung einer Narbenrevision in das Krankenhaus der Beklagten zu 1) . Die Klägerin befand sich vom 13. April bis zum 20.4.1999 in stationärer Behandlung; am 15.4.1999 führte der Beklagte zu 3) unter der Diagnose eines Narbenbruchs eine Narbenrevision durch. Ausweislich der Krankenunterlagen trat nach der Operation zunächst eine Besserung ein, d.h. ein schmerzfreier Zustand. Die Klägerin war nach den Aufzeichnungen der Ärzte und Pflegekräfte u.a. in der Lage, aufzustehen und selbständig umherzulaufen. Unter dem 26.4.1999 vermerkte der Hausarzt der Klägerin erstmals Sensibilitätsstörungen, aber noch keine Schmerzsymptomatik. Die Klägerin hat die Richtigkeit dieser Aufzeichnungen bestritten und dagegen behauptet, sie habe sofort nach der Operation Schmerzen verspürt.

Die Klägerin hatte in ihrer Klageschrift zunächst eine unzureichende und vor allem verspätete Risikoaufklärung vor dem Eingriff gerügt. Hierauf hatten die Beklagten erwidert und den Verlauf und Inhalt der Aufklärungsgespräche im Einzelnen geschildert und unter Beweis gestellt durch Vorlage der perimed - Aufklärungsbögen "Zur Anästhesie Erwachsener und Jugendlicher" (Stand: 05/96 - vgl. Anlage B 3, GA Bd. I Bl. 68-73) und "Operation eines Narbenbruchs nach Bauchoperation" (Stand: 04/92 - vgl. Anlage B 5, GA Bd. I Bl. 75-78) jeweils mit handschriftlichen Eintragungen und der Unterschrift der Klägerin sowie durch Zeugnis desjenigen Arztes, der das in den chirurgischen Bereich fallende Aufklärungsgespräch geführt haben soll. Die Kammer hatte mit Beschluss vom 6.4.2004 (vgl. GA Bd. I Bl. 102) darauf hingewiesen, dass sie nach dem bisherigen Sach- und Streitstand von einer hinreichenden Risikoaufklärung ausgehe. Schließlich hatte der gerichtliche Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten vom 17.8.2004, dort S. 7 (vgl. GA Bd. I Bl. 131), das dokumentierte chirurgische Aufklärungsgespräch als ausführlich und ausreichend bewertet. Sowohl in ihrer Stellungnahme zum vorgenannten Gutachten mit Schriftsatz vom 28.9.2004 als auch in dem sp...

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