Leitsatz (amtlich)
Die Straßenverkehrssicherungspflicht beschränkt sich nicht auf die Fahrbahn, sondern erfordert gegebenenfalls sogar Sicherungsmaßnahmen gegen Gefahren, die von außerhalb auf den Verkehr einwirken. Bei einer Landesstraße ist das Land daher in Bezug auf die am Straßenrand stehenden Bäume verkehrssicherungspflichtig. Hat das Land einen solchen Baum in Verkennung des Umfangs seiner Verkehrssicherungspflicht nicht kontrolliert und hätten solche Kontrollen reaktionspflichtige Vorschäden ergeben, so kommt dem durch einen Astbruch geschädigten Verkehrsteilnehmer der Beweis des ersten Anscheins für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Unterlassen der Amtspflichtverletzung und dem Schadenseintritt zugute.
Verfahrensgang
LG Dessau-Roßlau (Urteil vom 14.09.2012; Aktenzeichen 4 O 201/09) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 14.9.2012 verkündete Urteil des LG Dessau-Roßlau (4 O 201/09) abgeändert:
Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 2.916,- Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5.3.2008 zu zahlen.
Das beklagte Land wird weiter verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 316,18 EUR freizustellen.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten der Streitverkündung, diese trägt die Streithelferin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
und beschlossen:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.916,- Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger (ein Kfz-Versicherer) macht aus übergegangenem Recht einen Amtshaftungsanspruch aus dem Gesichtspunkt einer Verkehrssicherungspflichtverletzung geltend. Die Ehefrau ihres Versicherungsnehmers befuhr am 26.6.2007 mit dem beim Kläger versicherten Fahrzeug die Landstraße L. Im Gemeindegebiet der Streithelferin, im Kreuzungsbereich mit der Gemeindestraße R. Weg, fiel bei stürmischem Wetter ein massiver Ast einer auf dem Grundstück Flurstück (wohl) 180, Flur 1 (dazu Gutachten Prof. Dr. Sch., S. 28) in der Gemarkung T. stehenden Robinie auf das beim Kläger versicherte Fahrzeug. Nach dem Vortrag der Beklagten stand der Baum ca. 2,10 m vom befestigten Straßenkörper der L. aber nur 1,50 m vom R. Weg entfernt. Neben anderen Punkten bestreitet die Beklagte ihre Passivlegitimation und hat der Gemeinde T. den Streit verkündet. Die Gemeinde ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten.
Der Kläger trägt vor, dass durch den Sturz des Astes auf das bei ihm versicherte Fahrzeug ein Totalschaden entstanden sei. Der Wiederbeschaffungswert habe 2.700,- Euro betragen (unter Hinweis auf das Sachverständigengutachten M. vom 28.6.2008 [Anlage K1 Anlagenband]. Nach Abzug der Selbstbeteiligung von 150,- Euro habe er 2.550,- Euro an den Versicherungsnehmer gezahlt. Für die Erstellung des Gutachtens habe er einen Betrag von 366,- Euro aufwenden müssen (Rechnung M. vom 29.6.2007 [Anlage K4 AB]). Die Summe aus beiden Positionen bildet die Klageforderung. Daneben macht der Kläger ausgehend von einem Gegenstandswert von 2.916,- Euro vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 316,18 EUR geltend (Berechnung wie Klageschrift S. 7 [Bl. 7 I]).
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Neben ihrer Passivlegitimation bestreitet sie das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung, den Unfallhergang und den eingetretenen Schaden.
Nach dem Vortrag der Beklagten wurden an der L. im Juni und Juli 2007 sog. Baumschauen durchgeführt, die ohne reaktionspflichtiges Ergebnis geblieben seien. Der streitgegenständliche Baum sei in die Kontrolle nicht mit einbezogen worden, weil für diesen die Streithelferin verkehrsicherungspflichtig sei.
Die Streithelferin ist der Ansicht, dass die Klägerin bereits nicht hinreichend zu einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vortrage. Sie bestreitet, dass an dem Baum äußerlich erkennbare Schädigungsanzeichen vorhanden gewesen seien. Der Ast sei voll belaubt gewesen. Der Ast sei zudem infolge des Sturmes im Bereich des gesunden Holzes abgebrochen. Sie bestreitet die Behauptung des Klägers, dass der Bürgermeister der Streithelferin gegenüber dem Versicherungsnehmer des Klägers erklärt habe, dass der Baum durch den Sturm Kyrill vorgeschädigt gewesen sei und Maßnahmen nur deshalb unterblieben seien, weil keine Hebebühnen zur Verfügung gestanden hätten. Die Streithelferin hat den streitgegenständlichen Baum vollständig beseitigen lassen.
Das LG hat gemäß Beweisbeschluss vom 18.12.2009 ein Sachverständigengutachten zu der Frage nach dem Eigentümer des Grundstücks eingeholt, auf dem die Robinie stand (Bl. 91 I). Der Sachverständige Prof. Dr. Ing. Sch. gelangt (ohne Einholung eines Grundbuchauszuges) zu dem Ergebnis, dass die Robinie auf dem Flurstück 180 stand, das sich mit großer Wahrscheinlichkeit im Eigentum der Beklagten befinde (SV S. 28).
Das LG hat weiter Beweis zu etwaigen Erklärungen des Bürgermeisters der Streithelferin zur Kenntnis vom Zustand des Baumes durch dessen Vernehmung (Bl. 208 ff. I) sowie du...