Leitsatz (amtlich)

1. Ein zahnärztlicher Behandlungsfehler im Rahmen einer prothetischen Versorgung liegt unabhängig von einer Gelegenheit zur Fortsetzung der Behandlung vor, wenn der Behandlungsplan die Beseitigung eines Zahnengstandes, die nach fachärztlichem Standard erforderlich ist, nicht vorsah (Abgrenzung zum Urteil des OLG Naumburg vom 13.12.2007 - 1 U 10/07, NJW-RR 2008, 1056).

2. Kosten einer notwendigen Nachbehandlung wegen eines zahnärztlichen Behandlungsfehlers stellen nur dann einen ersatzfähigen Vermögensschaden dar, wenn der Patient diese Nachbehandlung bereits hat durchführen lassen.

3. Schmerzensgeld i.H.v. 1.000 EUR bei zwar schon erheblichen, aber nicht gravierenden Beeinträchtigungen des Gesamteindrucks des Gesichts durch die Verschiebung der Zahnmittellinie und verzögerter Schadensregulierung bei einer 20-jährigen Patientin.

 

Verfahrensgang

LG Halle (Saale) (Urteil vom 29.01.2009; Aktenzeichen 9 O 148/07)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 29.1.2009 verkündete Urteil des LG Halle (9 O 148/07) unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.662,71 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 % Punkten über dem Basiszinssatz auf einen Betrag von 1.000 EUR seit dem 12.4.2007 und auf einen Betrag von 662,71 EUR seit dem 21.9.2007 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche zukünftig noch entstehenden materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die daraus resultieren, dass der Beklagte im Rahmen der kieferorthopädischen Behandlung bei der Klägerin neben den Zähnen 14 und 44 (rechts) nicht sogleich oder zeitnah auch die Zähne 24 und 34 (links) extrahiert hat, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen werden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 64 % und der Beklagte zu 36 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert für den Rechtsstreit (für die erste Instanz zugleich in Abänderung des Streitwertbeschlusses im angefochtenen Urteil) wird auf 21.561,16 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die am 11.8.1988 geborene Klägerin begab sich im Jahre 1998 auf Anraten ihrer Hauszahnärztin in kieferorthopädische Behandlung beim Beklagten. Der Beklagte stellte folgende Diagnose (entsprechend Behandlungsplan vom 29.10.1998 - Hülle Bl. 92 I):

LS: Steil- oder invertiertstehende Schneidezähne, Rück- und Tiefbiß

OK: Oberer Schmalkiefer mit engstehender OK-Front, Steilstand 11 und 21,

Protrusion von 12 und 22

UK: Unterer Schmalkiefer mit eng.- und invertiertstehender UK-Front

Der Beklagte zog am 24.1.2000 bzw. 9.1.2001 bei der Klägerin zur Vermeidung einer Zahnfehlstellung im rechten Ober- und Unterkiefer die (gegenüber liegenden) Zähne 14 und 44. Der Beklagte installierte sodann an beiden Kiefern feste Zahnspangen (sog. Brackets). Diese Zahnspangen trug die Klägerin bis zum Jahr 2003. Da die Behandlung bis zu diesem Zeitpunkt nicht abgeschlossen war, stellte der Beklagte einen KFO-Verlängerungsantrag, dem die Krankenkasse der Klägerin mit Bescheid vom 12.4.2004 (Hülle Bl. 92 I) stattgegeben hat. Im Verlauf des Jahres 2003 brach die Klägerin (nach ihrem Vortrag) wegen ständiger Kopfschmerzen und eines Kiefergelenkknackens die Behandlung beim Beklagten ab und stellte sich wegen der vorgenannten Beschwerden bei ihrer Hauszahnärztin vor. Frau Dr. S. (dazu i. E.: Schreiben vom 15.5.2005 - Bl. 96/97 I) empfahl die Eingliederung einer UK adjustierten Schiene. Die Eingliederung erfolgte am 23.12.2003. Nach einer Feinjustierung war die Klägerin im März 2004 insgesamt beschwerdefrei, wobei sie bereits seit Ende Januar nicht mehr über Kopfschmerzen klagte.

Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten geltend. Sie ist der Ansicht, dass der Behandlungsplan des Beklagten im Grundsatz deshalb fehlerhaft gewesen sei, weil er lediglich die Extraktion der Zähne 14 und 44 auf der rechten Seite vorgesehen habe. Zur Vermeidung von asymmetrischen Fehlstellungen hätten parallel dazu auf der linken Seite im Ober- und Unterkiefer die Zähne 24 und 34 extrahiert werden müssen. Infolge dieses Planungsfehlers habe sich eine Zahnfehlstellung sämtlicher Zähne herausgebildet. Die Zähne seien asymmetrisch verschoben, was zum einen äußerlich unschön sei und zum andern zu Kiefer-, Kiefergelenk- und Kopfschmerzen geführt habe, die nahezu ein dreiviertel Jahr angehalten hätten. Die Klägerin hat einen Behandlungsplan zur Beseitigung der asymmetrischen Verzahnung der Universitätsklinik für Kieferorthopädie der Universität H. eingeholt. Der Plan (Bl. 13-15 I) geht von voraussichtlichen Kosten i.H.v. 5.557,72 EUR aus. Für die Erstellung des Behandlungsplans berechnete die Klinik entsprechend der Rechnung vom 13.12.2006 (Bl. 16 I) einen Betrag von 614,98 EUR. Die Kosten für die Erstellung des Behandlungsplans macht die Kl...

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