Entscheidungsstichwort (Thema)
Organisation des Fristenwesens in einer RA-Kanzlei
Leitsatz (amtlich)
Zur Organisation des Fristenwesens in einer Anwaltskanzlei: Fristen sind auf der Handakte zu notieren; das muss frühestmöglich geschehen.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
LG Regensburg (Urteil vom 29.06.2004; Aktenzeichen 6 O 482/03) |
Tenor
I. Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Endurteil des LG Regensburg vom 29.6.2004 wird zurückgewiesen.
II. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des LG Regensburg vom 29.6.2004 wird als unzulässig verworfen.
III. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
IV. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 156.162,18 EUR festgesetzt und zwar auf 136.162,18 EUR im Verhältnis zwischen der Klägerin und den Beklagten sowie auf 20.000 EUR im Verhältnis zwischen Beklagten und den Drittwiderbeklagten.
Gründe
I. Mit Endurteil vom 29.6.2004 hat das LG Regensburg die Beklagte zur Zahlung von 136.162,18 EUR verurteilt und eine von ihr erhobene Widerklage abgewiesen.
Gegen dieses ihr am 1.7.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 30.7.2004 Berufung eingelegt. Am 2.9.2004 ist eine mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbundene Berufungsbegründung eingegangen.
Wiedereinsetzung erstrebt die Beklagte mit der Begründung, die Fristversäumung sei darauf zurückzuführen, dass es eine bei ihrem Prozessbevollmächtigten R. beschäftigte Rechtsanwaltsgehilfin aus unbekannten Gründen unterlassen habe, von dem Prozessbevollmächtigten am 30.7.2004 auf der Kopie der Berufungseinlegung verfügte Fristen (24.8.; 30. oder 31.8.2004, insoweit divergieren die Anlagen B 1/5 und B 1/6) in den Fristenkalender einzutragen. Dem Prozessbevollmächtigten sei das Fehlen eines Erledigungsvermerks betreffend die am 30.7.2004 verfügten Fristen erst bei einer Aktenvorlage am 2.9.2004 aufgefallen; er habe sich auf seine zuvor beanstandungsfrei arbeitende Mitarbeiterin verlassen dürfen und vor dem 2.9.2004 keinen Anlass gehabt, die Ausführung seiner Verfügung vom 30.7.2004 zu überprüfen.
Die Berufungsbeklagten sehen das Wiedereinsetzungsgesuch als unbegründet an. Sie halten die Organisation der Fristenkontrolle in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten für unzulänglich. Ferner weisen sie darauf hin, dass den Beklagtenvertretern am 2.8.2004 zur Vorbereitung der Zwangsvollstreckung eine Prozessbürgschaft zugestellt worden ist und dass das LG Regensburg am 13.8.2004 über einen von der Beklagten gestellten Antrag auf Tatbestandsberichtigung mündlich verhandelt hat; jedenfalls bei diesen Gelegenheiten habe der fehlende Erledigungsvermerk betreffend die Fristnotierung auffallen müssen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II. Die Berufung der Beklagten ist unzulässig. Sie ist erst am 2.9.2004 begründet worden, also nicht innerhalb der bis 1.9.2004 laufenden Frist gem. § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO.
III. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Fristversäumung kann der Beklagten nicht gewährt werden, weil die Voraussetzungen des § 233 ZPO nicht vorliegen. Die Ursache für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist liegt nicht lediglich in einem Versehen einer Bürokraft, sondern in unzureichender Organisation des Fristenwesens durch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten, was sich die Beklagte gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Unentbehrliches Hilfsmittel für die Fristenwahrung ist neben der Führung eines entsprechenden Kalenders die Notierung der Fristen auf den Handakten des Anwalts, die durch einen Vermerk über die Eintragung im Kalender zu ergänzen ist; ferner müssen die organisatorischen Maßnahmen so beschaffen sein, dass auch bei unerwarteten Störungen des Geschäftsablaufs die Fristwahrung gewährleistet ist, wozu gehört, die zur Fristenkontrolle erforderlichen Handlungen frühestmöglicht und im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang vorzunehmen (BGH v. 5.2.2003 - VIII ZB 115/02, MDR 2003, 710 = BGHReport 2003, 697 = NJW 2003, 1815). Diesen Anforderungen genügte die Handhabung in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht: Unzureichend war schon, dass die Frist und deren Notierung nicht auf der Handakte vermerkt wurde, sondern lediglich auf einem darin befindlichen Schriftstück, nämlich der Kopie der Berufungseinlegung. Wäre der erforderliche Fristeneintrag auf der Handakte erfolgt, hätte das Fehlen eines Vermerks über die Eintragung im Kalender aus Anlass der Zustellung vom 2.8.2004 bzw. der Wahrnehmung des Termins vom 13.8.2004 ohne weiteres erkannt und der Eintrag im Fristenkalender nachgeholt werden können.
Außerdem war die Durchführung der Notierung von Fristen im Kalender nicht so organisiert, dass eine sichere Erledigung gewährleistet war. Die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist im Kalender erfolgte nicht frühestmöglich bei Beginn des Fristenlaufs am 1.7.2004, sondern wurde erst Wochen später am 30.7.2004 vorgesehen. D...