Leitsatz (amtlich)
Die Aufklärung eines Patienten durch den Arzt kann nicht Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens sein.
Verfahrensgang
LG Osnabrück (Beschluss vom 01.09.2009; Aktenzeichen 3 OH 64/09) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Osnabrück vom 1.9.2009 teilweise abgeändert.
Unter Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags im Übrigen wird der Antragstellerin für das beabsichtigte selbständige Beweisverfahren insoweit Prozesskostenhilfe bewilligt, als sie beantragt, das Gutachten eines medizinischen Sachverständigen zu folgenden Fragen einzuholen:
I. Wurden, nachdem die Antragstellerin im Jahr 2006 eine Schenkelhalsfraktur erlitten hatte, die drei aus Titan bestehenden Schrauben im Haus der Antragsgegnerin fachgerecht eingebracht?
II. Bestand am 29.2.2008 eine Indikation für die Entfernung der Schrauben? Hätte die Entfernung der Schrauben ggf. zu einem früheren Zeitpunkt erfolgen müssen, um Komplikationen bei der Entfernung der Schrauben nach Möglichkeit auszuschließen?
III. Ist es objektiv dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Praxis widersprechend, wenn es anlässlich der am 29.2.2008 im Haus der Antragsgegnerin durchgeführten Operation nicht gelang, die drei Schrauben aus dem Schenkelhals zu entfernen? Ist es insb. als objektiver Verstoß gegen den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Praxis zu verstehen, dass ein Ersatzbohrer während der Operation vom 29.2.2008 nicht vorhanden war und deswegen - so der Inhalt des OP-Berichts - die Entscheidung gefallen ist, die Schrauben knochennah abzuschneiden?
IV. Gemäß dem OP-Bericht vom 29.2.2008 wurden zwei Schrauben knochennah abgeschnitten. Erfolgte dieses Abschneiden objektiv entsprechend dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Praxis?
V. Ist eine Entfernung der Schrauben beziehungsweise Schraubenreste noch möglich? Falls nein: Welche Beeinträchtigungen und Beschwerden werden aus einem Belassen der Schrauben beziehungsweise Schraubenreste vermutlich resultieren?
VI. Verursachen die im Körper der Antragstellerin verbliebenen Schraubenreste seit der am 29.2.2008 im Haus der Antragsgegnerin durchgeführten Operation der Antragstellerin durchgängig Schmerzen im Oberschenkel rechts? Sind diese Schmerzen sowohl im Sitzen als auch im Liegen und Stehen zu verspüren? Bestehen objektive Anhaltspunkte dafür, dass zur Überdeckung der Schmerzen die Einnahme eines Schmerzmittels geboten ist?
Zur Vertretung in dem selbständigen Beweisverfahren wird der Antragstellerin Rechtsanwalt B. in N. beigeordnet.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen.
Gründe
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist gem. § 127 Abs. 2 ZPO zulässig und in der Sache teilweise begründet. In dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang hat die Antragstellerin einen Anspruch auf die begehrte Prozesskostenhilfe. Im Übrigen hat das LG eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
1. Wie das LG in der angefochtenen Entscheidung zutreffend hervorgehoben hat, ist das selbständige Beweisverfahren gem. § 485 Abs. 2 ZPO - die Voraussetzungen des § 485 Abs. 1 ZPO sind nicht dargetan - auf Antrag eines Patienten zur Feststellung eines von ihm behaupteten Behandlungsfehlers grundsätzlich zulässig (vgl. BGH, NJW 2003, 1741, 1742 m.w.N.).
a) Die gesetzliche Voraussetzung des rechtlichen Interesses, das nach § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO anzunehmen ist, wenn die begehrte Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, ist in einem weiten Sinne zu verstehen. Wird die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Arzthaftungsfragen begehrt, ist ein rechtliches Interesse prinzipiell gegeben. Kommt nämlich der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass kein ärztliches Fehlverhalten vorliegt, wird der Patient möglicherweise die beabsichtigte Klage nicht erheben; anderenfalls besteht die Möglichkeit, dass er vom Haftpflichtversicherer der Gegenseite klaglos gestellt wird (vgl. OLG Oldenburg GesR 2008, 421, 422 m.w.N.).
b) Das rechtliche Interesse kann dem Antragsteller nur abgesprochen werden, wenn es evident ist, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann (vgl. BGH, NJW 2004, 3488). Das ist hier nicht der Fall. Nach den Schilderungen der Antragstellerin erscheint eine Haftung der Antragsgegnerin wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers oder einer unzureichenden Aufklärung wenigstens denkbar.
2. Allerdings lassen die gesetzlichen Vorgaben es nicht zu, alle Fragen, die für die Arzthaftung eine Rolle spielen können, im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens aufzuklären.
a) Gemäß § 485 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist das selbständige Beweisverfahren bei der Verletzung einer Person, um die es regelmäßig in Arzthaftungsverfahren geht, darauf beschränkt, den Zustand dieser Person, die hierfür maßgeblichen Gründe und die Wege zur Beseitigung des Schadens festzustellen (vgl. BGH, NJW 2003, 1741, 1742). Zutreffender Ansi...