Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des Ausschlusses der Einstandspflicht eines Schiffsversicherers bei Feststellung der Fahruntüchtigkeit des Schiffes i.S.v. § 132 Abs. 1 VVG a.F. (§ 138 Satz 1 n.F.) i.V.m. § 8 BinSchG, ferner zur Reichweite einer möglichen Abbedingung des Haftungsausschlusses für Ersatzansprüche Dritter durch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen entsprechend der AVB Flusskasko.

 

Normenkette

VVG a.F. § 132 Abs. 1; VVG n.F. § 138 S. 1; BinSchG § 8; AVB Flusskasko 2000

 

Verfahrensgang

LG Aurich (Urteil vom 18.01.2007; Aktenzeichen 2 O 1125/04)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 18.05.2011; Aktenzeichen IV ZR 165/09)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Aurich vom 18.1.2007 geändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits sowie der Nebenintervention.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die gegen sie gerichtete Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagten oder die Streithelferin Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt festzustellen, dass die Beklagten aus einem Versicherungsvertrag für Ersatzansprüche Dritter einzustehen haben, die durch die Havarie ihres Motorschiffes "..." am 29.1.2003 in S./E. entstanden sind.

Die Klägerin will bei den Beklagten entsprechend einer Deckungszusage ("cover note") vom 13.2.2003 (Bl. 13 ff. Bd. I d.A.) ihr Binnenschiff unter Einbeziehung der A. Flusskasko versichert haben. Nachdem das Schiff auf der Fahrt von Hamburg nach Magdeburg zweimal mit einem Trogtor des Schiffshebewerks Scharnebeck kollidiert ist, wird die Klägerin von der zuständigen Wasser und Schifffahrtsdirektion auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Insoweit begehrt sie von den Beklagten Freistellung.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird im Übrigen gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Mit der Berufung machen die Beklagten zum einen erneut geltend, lediglich als Versicherungsmakler tätig und damit nicht selbst Vertragspartner der Klägerin geworden zu sein. Insoweit wollen sie als "führenden" Versicherer die Streithelferin vermittelt haben. Im Übrigen behaupten die Beklagten, das Schiff sei aufgrund gravierender Mängel der Umsteueranlage bereits bei Antritt der Reise fahruntüchtig gewesen, so dass eine etwaige versicherungsvertragliche Haftung in jedem Fall ausgeschlossen sei.

Die Streithelferin ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten.

Die Beklagten und die Streithelferin beantragen, unter Abänderung der angegriffenen Entscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat in Gegenwart des Schiffssachverständigen Dipl. Ing. P. G. die Zeugen A. W., A. B. und R. S. vernommen. Auf die Protokolle der Beweisaufnahme (Bl. 113 ff. und 169 ff. Bd. III d.A.) sowie die schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen vom 23.10. und 5.11.2008 (Bl. 127 ff., 140 f. Bd. III d.A.) wird Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Klägerin stehen aufgrund eines durchgreifenden Haftungsausschlusses des Versicherers gem. § 132 Abs. 1 VVG keine Ansprüche aus einem etwaigen mit den Beklagten geschlossenen Versicherungsvertrag zu.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass das Schiff aufgrund eines technischen Defekts der Umsteueranlage bei Fahrtantritt am 29.1.2003 objektiv fahruntüchtig i.S.v. § 132 Abs. 1 VVG i.V.m. § 8 BinSchG war und deshalb mit der Schleusenanlage kollidiert ist.

1. Auf der Grundlage der Aussagen der in zweiter Instanz vernommenen Zeugen W., S. und B. sowie den darauf aufbauenden Feststellungen des Sachverständigen G. ist davon auszugehen, dass entweder die DeutzUmsteueranlage infolge eines Überfüllens der Ölspeicher ausgefallen ist oder aber die Weiterleitung der Steuerbefehle aufgrund eines technischen Defekts der dafür vorgesehene SempressAnlage versagt hat.

Der Zeuge B. hat glaubhaft geschildert, das Schiff unmittelbar nach der Havarie durch bloßes Ablassen eines überhöhten Ölstandes der DeutzAnlage wieder gangbar gemacht zu haben. Der Gutachter hat insoweit schriftlich wie mündlich eingehend erläutert, dass eine Überfüllung der Ölspeicher zu einem Ausfall der hydraulischen Umsteuerungsanlage führen kann. Er hält eine solche Ursache als Grund für die Manövrierunfähigkeit sogar für überwiegend wahrscheinlich.

Ein überhöhter Ölstand der Umsteueranlage, der letztlich zu einem Ausfall der Steuerung führt, genügt, um die für den versicherungsvertragsrechtlichen Haftungsausschluss erforderliche Fahruntüchtigkeit zu bejahen. Der in § 132 Abs. 1 VVG verwendete Begriff der Fahruntüchtigkeit entspricht dem des § 8 BinSchG (BGH VersR 1980, 65), so dass neben der absoluten Fahruntüchtigkeit auch die relative Fahruntüchtigkeit ausreicht, also wenn das Schiff allein aufgrund der kon...

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