Leitsatz (amtlich)

"Zu den Voraussetzungen, unter denen sich ein Erblasser von einem Erbvertrag lösen kann, in dem eine Verpflichtung des Vertragserben zur Pflege und Versorgung des Erblassers vereinbart worden ist."

 

Verfahrensgang

LG Oldenburg (Urteil vom 24.09.2009; Aktenzeichen 9 O 1710/08)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 05.10.2010; Aktenzeichen IV ZR 30/10)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 24.9.2009 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des LG Oldenburg geändert.

Es wird festgestellt, dass der notarielle Erbvertrag des Notars Dr. B. vom 15.4.1981 (UR 218/1981) unwirksam ist.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 120 % des gegen ihn zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über das Bestehen eines Erbvertrages.

Die Klägerin setzte den Beklagten mit dem streitgegenständlichen Erbvertrag vom 15.4.1981 zum Erben ein. Gleichzeitig verpflichtete sie sich, ihr Hausgrundstück ... in B. ohne Zustimmung des Beklagten weder zu veräußern noch zu belasten. Zur Absicherung dieser Verpflichtung vereinbarten die Parteien, dass der Beklagte bei einem Verstoß gegen das Verfügungsverbot die sofortige Übereignung des Grundstücks verlangen könne. Hierfür sollte eine Vormerkung im Grundbuch eingetragen werden. Der Beklagte verpflichtete sich seinerseits, die Klägerin "in kranken und alten Tagen zu hegen und zu pflegen, ohne dass dafür geldwerte Mittel von mir oder meinen Rechtsnachfolgern aufzuwenden sind."

Der Beklagte bewohnte zunächst ab dem 1.6.1980 die Unterwohnung im Haus der Klägerin. Anfang 1993 zog er aus, nachdem die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 4.9.1992 die Räumung wegen "ständiger Auseinandersetzungen" und "endgültiger Störung des Vertrauensverhältnisses" verlangt hatte.

Mit Schreiben vom 13.4.1999 forderte die Klägerin den Beklagten auf, seine "erbvertraglichen Verpflichtungen" wieder aufzunehmen. Am 20.6.2007 zog die Klägerin in ein Alten- und Pflegeheim in B. Mit notarieller Urkunde vom 18.1.2008 erklärte sie den Rücktritt vom Erbvertrag "da der vertraglich eingesetzte Erbe, Herr A. H..., der eingegangenen Verpflichtung bisher - auch nach Aufforderung - nicht nachgekommen ist." Eine Ausfertigung dieser Urkunde wurde dem Beklagten am 28.1.2008 zugestellt.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie sich wirksam vom Erbvertrag gelöst hat. Der Beklagte meint, die Klägerin sei nicht zum Rücktritt berechtigt. Dies folge schon aus Rechtsgründen. Zudem bestreitet er, dass die Klägerin 1999 pflegebedürftig gewesen sei. Sie habe zumindest noch bis Ende 2006 autofahren können. Er selbst habe jedenfalls keinen Anhalt für einen entsprechenden Bedarf gehabt. Davon, dass die Klägerin ins Altenheim gezogen sei, habe er erst im Januar 2008 erfahren.

Das LG hat die Klage nach Beweisaufnahme zur Frage der Pflegebedürftigkeit der Klägerin und einer etwaigen Kenntnis des Beklagten hiervon abgewiesen. Es führt aus, eine Anfechtung des Erbvertrages nach §§ 2281, 2078 Abs. 2 BGB scheitere an der Nichteinhaltung der Jahresfrist (§ 2283 Abs. 1 BGB). Ein Rücktritt nach § 2295 BGB komme ebenfalls nicht in Betracht, da eine Aufhebung der Pflegeverpflichtung nicht vorliege. Eine Kündigung aus wichtigem Grund sei nicht in angemessener Frist erklärt worden (§ 314 Abs. 3 BGB). Ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB könne sich nur auf Zustimmung zur Aufhebung des Erbvertrages richten. § 313 BGB (Wegfall der Geschäftsgrundlage) komme wegen der Vorranges der erbrechtlichen Vorschriften nicht zur Anwendung.

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung ihr Klagebegehren weiter. Sie wiederholt ihren Rechtsstandpunkt, dass sie den Erbvertrag anfechten bzw. von ihm zurücktreten könne. Eine Fristversäumnis könne ihr nicht zur Last gelegt werden. Denn erst mit dem Einzug ins Altenheim am 20.6.2007 habe sie sicher gewusst, dass sie die im Vertrag zugesagte Pflege vom Beklagten nicht mehr erhalten werde.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des LG Oldenburg vom 24.9.2009 zu ändern und festzustellen, dass der notarielle Erbvertrag des Notars Dr. B., UR., unwirksam ist.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das Urteil des LG nach Maßgabe seiner Erwiderung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivortrags wird auf die Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung sowie die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die Berufung hat Erfolg.

Der am 15.4.1981 geschlossene Erbvertrag ist unwirksam. Die Klägerin hat auch ein rechtliches Interesse daran, dies durch Urteil feststellen zu lassen. Denn der Beklagte will an dem Vertrag festhalten.

Die Unwirksamkeit des Vertrags folgt aus verschiedenen Gründen.

Die Klägerin ist mit der notariellen Erklärung vom 18.01.2008 wirksam von dem Erbvertrag zurück...

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