Entscheidungsstichwort (Thema)
Konkurrenz zwischen Aufstockungsunterhalt und Ehegattenunterhalt aus neuer Ehe
Leitsatz (amtlich)
1. Konkurriert ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt nach langjähriger Ehe (mehr als 23 Jahre) mit dem Anspruch des kinderbetreuenden Ehegatten in einer neuen Ehe, ist es zur Vermeidung eines verfassungswidrigen Ergebnisses geboten, § 1582 Abs. 1 BGB in der Weise auszulegen, dass es sich um keine Ehe von "langer Dauer" handelt und beide Ansprüche gleichrangig sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Aufstockungsunterhalt lediglich dazu dient, dem geschiedenen Ehegatten einen die eigene, eheunabhängige Lebensstellung übersteigenden Lebensstandard zu sichern.
2. Alle nach der Ehescheidung entstandenen gleichrangigen Ansprüche wirken sich beim nachehelichen Unterhalt bedarfsmindernd aus.
Normenkette
BGB §§ 1360, 1573, 1582; GG Art. 6 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Lingen (Urteil vom 21.06.2006; Aktenzeichen 19 F 133/06) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 21.6.2006 verkündete Urteil des AG - FamG - Lingen geändert:
1. Der vor dem AG Meppen am 22.3.2005 im Verfahren 16 F 67/03 geschlossene Vergleich wird mit Wirkung vom 1.11.2005 dahingehend abgeändert, dass der Kläger an die Beklagte nur noch einen nachehelichen Unterhalt i.H.v. 165 EUR monatlich für Oktober bis Dezember 2005 und monatlich 200 EUR ab Januar 2006 zu zahlen hat.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.800 EUR zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten zu 2/3 und dem Kläger zu 1/3 auferlegt.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien dürfen die Vollstreckung aus diesem Urteil durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden.
Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
I. Der 1949 geborene Kläger und die 1948 geborene Beklagte waren seit 1978 miteinander verheiratet. Die im März 2005 geschiedene Ehe war kinderlos.
Der Kläger wird als Lehrer nach A12besoldet. Die seit 1992 als Verkäuferin erwerbstätige Beklagte bezieht ein monatliches Einkommen von netto rund 1.075 EUR. Im Scheidungsverfahren schlossen die Parteien einen Vergleich, in welchem sich der Kläger zur Zahlung eines nachehelichen Unterhalts von monatlich 600 EUR verpflichtete.
Nachdem der Kläger am ... 2005 erneut geheiratet und die Vaterschaft für sein bereits am ... in P. geborenes Kind anerkannt hat, begehrt er den Wegfall seiner Unterhaltspflicht ab Oktober 2005.
Durch das am 21.6.2006 verkündete Urteil hat das AG - FamG - Lingen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass dem Kläger mit Rücksicht auf die mit der Eheschließung verbundene Verbesserung seiner Einkommensverhältnisse ein Festhalten an dem 2005 geschlossenen Vergleich zumutbar sei.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner fristgerecht eingelegten und rechtzeitig begründeten Berufung.
Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen zu seinen Einkommensverhältnissen und beantragt das Urteil des AG - FamG - Lingen vom 21.6.2006 zu ändern und den vor dem AG - FamG - am 22.3.2005 geschlossenen Unterhaltsvergleich dahingehend abzuändern, dass er der Beklagten ab Oktober 2005 keinen Unterhalt mehr zu zahlen hat, sowie hilfsweise für den Fall des Obsiegens die Beklagte zu verurteilen, den für die Monate März bis September 2006 gezahlten Unterhalt i.H.v. 4.200 EUR an ihn zurückzuzahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung.
Die Akte 16 F 67/03 AG Meppen hat vorgelegen. Weitere tatsächliche Feststellungen hat der Senat nicht getroffen.
II. Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg. Der Kläger ist der Beklagten nur noch in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt verpflichtet. Zudem hat die Beklagte an den Kläger überzahlten Unterhalt i.H.v. 2.800 EUR zurückzuzahlen.
Die Klage ist als Abänderungsklage zulässig. Denn mit dem Vorbringen, seiner neuen Ehefrau und dem gemeinsamen Kind zum Unterhalt verpflichtet zu sein, macht der Kläger eine wesentliche Änderung der für die Bemessung des Unterhalts maßgeblichen Umstände geltend. Da er die Anpassung eines Vergleichs erstrebt, ist auch eine rückwirkende Anpassung ohne die Zeitschranke aus § 323 Abs. 3 ZPO statthaft.
Die Klage ist teilweise begründet. Die Änderung eines Prozessvergleichs beurteilt sich allein nach materiellem Recht. Von der Grundlage der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung hängt es ab, inwieweit der Kläger nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) eine Anpassung der getroffenen Vereinbarung verlangen kann. Dieses ist dann der Fall, wenn es einer Partei aufgrund veränderter Umstände nach Treu und Glauben nicht zuzumuten ist, sich an der Vereinbarung festhalten zu lassen.
Davon ist im Unterhaltsrecht regelmä...