Leitsatz (amtlich)
1. Die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs wirkt sich aus, wenn die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (Anschließung an: BGH, Urteil vom 11. Februar 2020 - VI ZR 286/19, Rn. 10, juris). Dabei kann ein den Verkehrsraum als Hindernis einengendes, ruhendes Kraftfahrzeug zumindest ebenso gefährdend sein wie ein bewegtes, sodass die Betriebsgefahr fortwirkt.
2. Verletzt eine Kraftfahrerin ihre Wartepflicht aus § 6 Satz 1 StVO durch ein grobes Fehlverhalten, kann die Betriebsgefahr des anderen beteiligten Fahrzeugs zurücktreten, auch wenn es sich dabei um ein Gespann handelt.
3. Der Zurechnungszusammenhang einer Gefahr entfällt nicht schon deshalb, weil der Schaden erst später durch das Hinzutreten weiterer Umstände entstanden ist (Anschließung an: BGH, Urteil vom 26. März 2019 - VI ZR 236/18, Rn. 9 m.w.N., juris).
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1; StVG §§ 7, 17; VVG § 86 Abs. 1, § 115
Verfahrensgang
LG Stralsund (Urteil vom 20.06.2019; Aktenzeichen 4 O 128/18) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 20.06.2019, Az. 4 O 128/18, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Stralsund ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des von ihm jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 140.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin macht als Haftpflichtversicherer eines Kraftfahrzeuges Regressansprüche im Rahmen eines Gesamtschuldner-Innenausgleichs gegen den Beklagten wegen eines Verkehrsunfalles geltend, der sich am 15.11.2016 gegen 17:20 Uhr auf der Landstraße x zwischen P und D ereignet hatte.
Der Beklagte befuhr als Fahrer und Halter eines Audi A6 mit einem doppelachsigen Anhänger die Landstraße. Der Halter und die Versicherung des Anhängers sind nicht Beteiligte des Rechtsstreits. Während der Fahrt verlor der Beklagte den mit zwei Waschmaschinen, einem Strohballen und zwei Mülltonnen beladenen Anhänger, der nach links von der Fahrbahn abkam und auf ein Feld rollte. Der Beklagte versicherte sich, dass keine Gegenstände auf der Fahrbahn lagen, fuhr weiter bis P, wendete und kehrte an die Stelle zurück, wo der Anhänger ins Feld gerollt war. Er stellte sein Fahrzeug halb auf dem nicht befestigten Seitenstreifen und halb auf der Fahrbahn ab und schaltete den Warnblinker an. Er wollte nach dem Anhänger sehen, danach die Polizei rufen und ein Warndreieck aufstellen. Während des Anrufs bei der Polizei ereignete sich der Unfall, aus dem die Klägerin Ansprüche geltend macht. Die Fahrerin des bei ihr versicherten Volvo (Frau K) kollidierte beim Passieren des Audi des Beklagten mit einem entgegenkommenden VW Passat. Zum Unfallzeitpunkt war es bereits dunkel und es regnete teils stark.
Nachdem die Klägerin zunächst geltend gemacht hatte, Frau K habe das auf ihrer Fahrbahn stehende Fahrzeug des Beklagten zu spät erkannt und sei deshalb auf die Gegenfahrspur ausgewichen, als es dann zu dem Unfall gekommen ist, hat sie ihren Vortrag bereits erstinstanzlich unter Berücksichtigung der Verkehrsunfallanzeige korrigiert. Die Zeugin K habe das Fahrzeug des Beklagten gesehen und hinter diesem angehalten. Sie habe ein Fahrzeug aus dem Gegenverkehr passieren lassen, geblinkt und zum Überholen angesetzt. Als sie sich ungefähr auf Höhe des Fahrzeugs des Beklagten befand, habe sie den entgegenkommenden, mit Abblendlicht fahrenden VW Passat auf sich zukommen sehen und beschleunigt, um das Wiedereinscheren zu schaffen. Dabei ist es jeweils vorne links zur Kollision der Fahrzeuge gekommen. Der Volvo kam ca. 18 m weiter auf der rechten Fahrspur zum Stehen. Der entgegenkommende VW Passat kam nach rechts von der Fahrbahn ab und kollidierte ca. 22 m weiter mit einem Baum. Die fünf Insassen des VW Passat erlitten schwere Verletzungen, der Beifahrer verstarb.
Die Klägerin erbrachte bisher an verschiedene Anspruchsteller Leistungen in Höhe von mehr als 280.000 EUR. Sie rechnet mit weiteren Zahlungen und dadurch mit Gesamtaufwendungen von mindestens 350.000 EUR. Sie begehrt die Feststellung, dass der Beklagte ihr die Hälfte sämtlicher Schadensaufwendungen zu erstatten hat.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Stralsund hat das Amtsgericht Stralsund die Fahrerin des bei der Klägerin versicherten Fahrzeugs durch Strafbefehl wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in vier Fällen zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen verurteilt. Der Strafbefehl ist rechtskräftig.
Die Klägerin g...