Leitsatz (amtlich)
1. In Spruchverfahren ist das Gericht im Rahmen seiner Schätzung des Verkehrswertes des Aktieneigentums nicht gehalten, darüber zu entscheiden, welche Methode der Unternehmensbewertung und welche methodische Einzelentscheidung innerhalb einer Bewertungsmethode richtig sind. Vielmehr können Grundlage der Schätzung des Anteilswerts durch das Gericht alle Wertermittlungen sein, die auf in der Wirtschaftswissenschaft anerkannten und in der Bewertungspraxis gebräuchlichen Bewertungsmethoden sowie methodischen Einzelentscheidungen innerhalb einer solchen Bewertungsmethode beruhen, auch wenn diese in der wissenschaftlichen Diskussion nicht einhellig vertreten werden.
2. Grundlage der Schätzung des Gerichts können somit vom Grundsatz her sowohl Wertermittlungen basierend auf fundamentalanalytischen Wertermittlungsmethoden wie das Ertragswertverfahren als auch auf marktorientierten Methoden wie eine Orientierung an Börsenkursen sein. Entscheidend ist, dass die jeweilige Methode in der Wirtschaftswissenschaft anerkannt und in der Praxis gebräuchlich ist.
3. Als anerkannt und gebräuchlich ist derzeit nicht nur, aber jedenfalls auch das anzusehen, was von dem Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in dem Standard IDW S 1 sowie in sonstigen Verlautbarungen des Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) vertreten wird. Hierbei handelt es sich um allgemeine Erfahrungssätze, die auf Grund fachlicher Erfahrungen gebildet werden und einem dynamischen Prozess unterliegen.
4. Das Bewertungsgutachten und der Bericht des sachverständigen Prüfers bieten jedenfalls dann eine hinreichende Schätzgrundlage, wenn die dortige Unternehmensbewertung auf in der Wirtschaftswissenschaft anerkannten und in der Bewertungspraxis gebräuchlichen Methoden beruht.
5. Weist der von dem Vorstand mit der Unternehmensbewertung beauftragte Bewertungsgutachter darauf hin, dass die ihm vorliegende Unternehmensplanung in bestimmten Punkten unplausibel ist, kann der Vorstand seine Unternehmensplanung anpassen. Passt er die Planung an, ist fortan diese neue Planung als solche des Vorstands anzusehen, von der im Zuge der weiteren Unternehmensbewertung und sodann auch in dem gerichtlichen Spruchverfahren auszugehen ist. Die neue Planung kann der Schätzung des Unternehmenswertes zugrunde gelegt werden, wenn diese auf zutreffenden Informationen und daran orientierten, realistischen Annahmen beruht und nicht in sich widersprüchlich ist. Ein Grundsatz der Meistbegünstigung zugunsten der Anteilseiger, der verlangte, eine ihnen günstigere ursprüngliche Planung auch in einer solchen Situation zugrunde zu legen, besteht nicht.
Normenkette
AktG § 304 Abs. 1, 3, § 305 Abs. 1, 5
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Beschluss vom 19.10.2010; Aktenzeichen 32 O 116/08 KfH AktG) |
Tenor
1. Die sofortigen Beschwerden der Antragsteller Ziff. 1, 27, 28, 30, 43, 45 und 51 gegen den Beschluss des LG Stuttgart vom 19.10.2010 - 32 O 116/08 KfH AktG, werden zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens; die im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 200.000 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Gegenstand dieses Spruchverfahrens ist die gerichtliche Festsetzung eines angemessenen Ausgleichs und einer angemessenen Barabfindung wegen des Abschlusses eines Beherrschungsvertrags der Antragsgegnerin als herrschender Gesellschaft mit der X. AG (X), N., als abhängiger Gesellschaft.
I.1. Die Antragsteller sind Minderheitsaktionäre der X.
Die X ist eine nach deutschem Recht gegründete Aktiengesellschaft mit Sitz in N.. Sie erbringt gemeinsam mit ihren Tochterunternehmen, insbesondere der X HR S. & S. GmbH und der X IT C. GmbH (X-Gruppe) Dienstleistungen und Entwicklungen im Bereich der Informationstechnologie. Zu dem Unternehmensgegenstand der X gehört auch das Halten und Verwalten von Beteiligungen an Unternehmen, die ebenfalls maßgeblich in diesem Bereich tätig sind. Die X-Gruppe ist in den operativen Geschäftsbereichen IT Outsourcing, HR Services&Solutions und IT Consulting tätig. Im Zeitraum Januar bis September 2007 tätigte die X rund 35 % des Umsatzes mit den 20 größten Kunden. Die Kunden in den Bereichen IT Outsourcing und IT Consulting kommen aus allen Branchen, während die Kunden im Bereich HR Services and Solutions aus dem öffentlichen und sozialen Sektor kommen.
Die X entstand 1998 durch Formunwandlung der im Januar 1975 in N. gegeründeten T Gesellschaft ... GmbH. Mehrheitsaktionärin mit einem Anteil von 76,2 % wurde die A L. P.
Die 1993 als Limited nach englischem Recht gegründete Antragsgegnerin mit Sitz in L. ist eine Gesellschaft des globalen Y Konzerns. Sie ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Y PLC, die innerhalb des Y Konzerns für den Bereich der IT-Dienstleistungen in der Region Europa, Naher Osten und Afrika zuständig ist. Der Gesellschaftszweck der Antragsgegnerin ist die Tätigkeit als Zwischenholdinggesellschaft f...