Leitsatz (amtlich)

Im Mittelpunkt der bei einer Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB erforderlichen Interessenabwägung steht das Wohl des bei Pflegeeltern untergebrachten Kindes. Allein der Umstand eines langen Verbleibs des Kindes in der Pflegefamilie (hier: 3 Jahre) genügt nicht, dass ein Schaden für das Kind durch eine Rückführung in die Herkunftsfamilie mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht auszuschließen ist. Vielmehr müssen über den bloßen Betreuungswechsel hinaus weitere Risikofaktoren hinzutreten, die gegen eine Herausnahme des Kindes und für eine Verbleibensanordnung in der Pflegefamilie sprechen.

 

Verfahrensgang

AG Esslingen (Beschluss vom 19.04.2012; Aktenzeichen 6 F 1104/10)

 

Tenor

1. Nach erfolgter Rückführung des Kindes M., geboren am 12.7.2009, in den Haushalt der Beteiligten Ziff. 2 wird die Verbleibensanordnung durch Beschluss des AG - Familiengericht - Esslingen vom 19.4.2012 - 6 F 1104/10, aufgehoben.

2. Von der Erhebung von Gerichtskosten wird in beiden Instanzen abgesehen; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Beschwerdewert: 3.000 EUR

 

Gründe

I. Die Beteiligten stritten um den Verbleib des Kindes M., geboren am 12.7.2009.

M. ist der Sohn der Beteiligten Ziff. f32, die das alleinige Sorgerecht innehat. Der Vater des Kindes ist unbekannten Aufenthalts. Die Kindesmutter war bei der Geburt 17 Jahre alt und befand sich noch in der Schulausbildung. Sie lebte bei ihrer alleinerziehenden Mutter in instabilen Familienverhältnissen. Das Jahr vor der Geburt des Kindes gestaltete sich so konfliktreich, dass die Kindesmutter teilweise vom Jugendamt in Obhut genommen werden musste.

Die Kindesmutter entschied sich nach der Geburt von M. aufgrund ihrer eigenen schwierigen Familienverhältnisse, diesen in eine Pflegefamilie zu geben, um selbst ihre Schulausbildung erfolgreich abschließen zu können. Von Beginn an fanden regelmäßige wöchentliche Besuchskontakte zwischen M. und der Kindesmutter bei der Pflegefamilie statt.

Im Sommer 2010 erreichte die Kindesmutter einen (verbesserten) Hauptschulabschluss und wechselte in die Ausbildung zur Kinderpflegerin. Seit August 2010 lebt sie mit ihrem Verlobten im Haus dessen Eltern.

Das Kreisjugendamt beantragte verfahrenseinleitend im Hinblick auf bestehende Rückführungsbestrebungen der Kindesmutter, dieser das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge und das Recht, Jugendhilfeanträge zu stellen, zu entziehen und auf das Jugendamt zu übertragen. Die Mutter habe zwar eine liebevolle, aber keine beständige, verlässliche Beziehung zum Kind. Vielmehr sei sie wie eine "Fahne im Wind" unter dem Einfluss ihres Partners und dessen Familie. Das Jugendamt zweifelt an der Kooperationsfähigkeit der Kindesmutter mit den Pflegeeltern und den zuständigen Behörden.

Die Kindesmutter beantragte dagegen die Rückführung des Kindes und vorbereitend eine Ausweitung des Umgangs. Ihre eigene persönliche Situation sei inzwischen stabil. Das Pflegeverhältnis sei als zeitlich begrenzt zu verstehen.

Die Pflegeeltern beantragten, den Verbleib M. in der Pflegefamilie anzuordnen. Sie seien die engsten Bezugspersonen des Kindes. Im Falle einer Trennung könnte ein Schaden für das Kind mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht ausgeschlossen werden.

Diese Befürchtung wurde auch von der erstinstanzlich für M. bestellten Verfahrensbeiständin geteilt. Um die Folgen einer Trennung des Kindes von der Pflegefamilie auffangen zu können, bedürfe es einer erhöhten Erziehungsfähigkeit der Mutter. Die Verfahrensbeiständin bezweifelte, dass die Beteiligte Ziff. f32 über diese Fähigkeit verfüge.

Das Familiengericht holte in Vorbereitung seiner Entscheidung ein lösungsorientiertes Sachverständigengutachten der Diplom-Sozialpädagogin (FH) C. K. ein, die sich im Ergebnis für eine Rückführung des Kindes zu seiner Mutter, der Beteiligten Ziff. f32 aussprach.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Familiengericht den Rückführungsantrag der Mutter zurückgewiesen und zugleich den unbefristeten Verbleib des Kindes bei den Pflegeeltern angeordnet. Es folgte dabei hinsichtlich der Darstellung des Bindungs- und Beziehungssystems des Kindes den Ausführungen im Sachverständigengutachten, schloss sich diesem aber hinsichtlich der Schlussfolgerungen für die Risiken bei der Trennung von M. von der Pflegefamilie nicht an. Es befürchtete im Hinblick auf die Trennung psychische und physische Schädigungen des Kindes. Weitergehende sorgerechtliche Maßnahmen gem. §§ 1666 ff. BGB ordnete das Familiengericht nicht an.

Mit der Beschwerde wendet sich die Kindesmutter gegen die Verbleibensanordnung des Familiengerichts. Sie begehrte weiterhin die Rückführung ihres Sohnes in den mütterlichen Haushalt. Ihre persönliche Situation habe sich dauerhaft stabilisiert. Sie habe zu M. eine innige und vertrauensvolle Beziehung.

Die Pflegeeltern beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen. Sie halten die Entscheidung des Familiengerichts im Hinblick auf das Kindeswohl für richtig. Das Sachverständigengutachten sei mangelhaft und ni...

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