Leitsatz (amtlich)
1. Das im Verschmelzungsvertrag festzusetzende Umtauschverhältnis beruht auf der Relation der auf das einzelne Mitgliedschaftsrecht entfallenden anteiligen Unternehmenswerte. Die den Anteilseignern eines übertragenden Rechtsträgers nach dieser Relation zu gewährenden Anteile sind keine Abfindung oder Entschädigung für verlorene Mitgliedschaftsrechte, sondern die Gegenleistung für die Übertragung des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers auf den übernehmenden Rechtsträger.
2. Bei der Verschmelzung voneinander unabhängiger Aktiengesellschaften bieten die echte Verhandlungssituation, in der sich die für den Vertragsschluss zuständigen Unternehmensvertreter befinden, und die Billigung durch die jeweiligen Hauptversammlungen mit einer großen Mehrheit, die nicht vom Eigeninteresse eines Mehrheitsaktionärs, sondern von gleichgerichteten Interessen von Klein- und Großaktionären bestimmt ist, eine erhöhte Gewähr für ein angemessenes Umtauschverhältnis. Der in einer marktkonformen Verhandlung gefundene Preis ist grundsätzlich als angemessen zu betrachten. Eine Korrektur ist nicht veranlasst, wenn der verhandlungsführende Vorstand des übertragenden Unternehmens die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers hat walten lassen. Weder das Gesetz noch die Verfassung fordern eine andere Handhabung. Bei der Beurteilung der Frage, ob sich der Vorstand sorgfaltsgemäß verhalten hat, sind die Grundsätze der business judgement rule zu beachten. Eine zugunsten der Aktionäre des übertragenden Unternehmens davon abweichende Börsenkursrelation stellt dann nicht die Untergrenze des Umtauschverhältnisses dar.
3. Bei der materiell-rechtlichen Bewertung einer Strukturmaßnahme ist regelmäßig auch dann auf den jeweiligen Einzelvorgang abzustellen, wenn dieser als Teil einer einheitlich angelegten, komplexeren Umstrukturierung anzusehen ist. Für Fragen der Unternehmensbewertung ist keine davon abweichende Beurteilung veranlasst.
Normenkette
GG Art. 14; UmwG § 1 Abs. 2-3, § 2 Nr. 1, § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Nr. 3, §§ 12, 15 Abs. 1, § 25; AktG § 93 Abs. 1 S. 2; SpruchG § 7 Abs. 7; ZPO § 287 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Beschluss vom 04.08.2006; Aktenzeichen 32 AktE 3/99 KfH) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der 32. Kammer für Handelssachen des LG Stuttgart vom 4.8.2006 - 32 AktE 3/99 KfH - aufgehoben.
Die Anträge auf Festsetzung einer Zuzahlung werden zurückgewiesen.
2. Die Beschwerden der Antragsteller zu 2, 8, 10 und 12 sowie die Anschlussbeschwerden der Antragsteller zu 4, 5, 7, 9 und 11 werden zurückgewiesen, die Beschwerden der Antragsteller zu 2, 10 und 12 mit der Maßgabe, dass ihre Anträge auf Festsetzung einer Zuzahlung nicht unzulässig, sondern unbegründet sind.
3. Die Antragsgegnerin trägt die in beiden Instanzen entstandenen Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller erster Instanz. Die im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet.
4. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 200.000 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Antragsteller waren Aktionäre der D. B. AG (im Folgenden: DB), die auf die Antragsgegnerin, die - zwischenzeitlich in D. AG umbenannte vormalige - D. C. AG (im Folgenden: DC), verschmolzen worden ist (vgl. Anl. Ag. 1 [= Bl. 209 d.A.], S. 227). Die Antragsteller sind der Ansicht, das festgelegte Umtauschverhältnis sei zu niedrig bemessen. Sie begehren im Spruchverfahren eine bare Zuzahlung nach § 15 UmwG.
I. Die Verschmelzung basierte auf dem Business Combination Agreement (im Folgenden: BCA), das am 7.5.1998 zunächst privatschriftlich unterzeichnet und am 4.8.1998 als der "Geänderte und neugefasste Vertrag über den Unternehmenszusammenschluss" (Anl. Ag. 1, S. 107) zwischen der DB, der C. C. (im Folgenden: C) und der DC notariell beurkundet wurde. Sie war Teil des Zusammenschlussvorhabens zwischen DB und C.
Der Zusammenschluss vollzog sich in zwei Stufen. Auf der ersten Stufe wurden im Wege zweier parallel durchgeführter und in ihrer Wirksamkeit durch wechselseitige Bedingungen miteinander verknüpfter Sachkapitalerhöhungen ca. 98,25 % der DB-Aktien sowie sämtliche C-Aktien in die DC eingebracht. Auf der zweiten Stufe wurde DB auf die DC verschmolzen.
Die DC war aus der "O. Aktiengesellschaft" hervorgegangen und zunächst mit einem Grundkapital von 100.000 DM ausgestattet worden. Die "O. Aktiengesellschaft" war am 4.5.1998 von der S. O. jr. & Cie. KGaA als alleiniger Aktionärin errichtet und am 6.5.1998 in das Handelsregister des AG D. eingetragen worden. Durch Beschluss der Hauptversammlung vom 13.7.1998 wurde die Firma in DC geändert und der Sitz nach S. verlegt.
Die Realisierung des Zusammenschlusses auf erster Stufe wurde einerseits durch das Angebot der DC an die Aktionäre der DB erreicht, die Aktien in solche der DC zu tauschen. Das Angebot wurde im September 1998 unterbreitet und hatte ursp...