Leitsatz (amtlich)
1. Zur Schätzung des Verkehrswertes des Aktieneigentums in Spruchverfahren (Anschluss an die Senatsbeschlüsse vom 5.6.2013 - 20 W 6/10, vom 24.7.2013 - 20 W 2/12, vom 15.10.2013 - 20 W 3/13 sowie vom 5.11.2013 - 20 W 4/12).
2. Im Spruchverfahren besteht - auch und gerade soweit das Gericht die von ihm vorzunehmende Schätzung des Anteilswerts auf einer Unternehmenswertermittlung nach der Ertragswertmethode abstützt - für eine inhaltliche Auseinandersetzung um in der Betriebswirtschaftslehre umstrittene Fragen grundsätzlich weder Bedürfnis noch Raum. Es ist nicht Aufgabe des Spruchverfahrens, einen Beitrag zur Klärung derartiger Fragen zu leisten. Das Gericht hat insbesondere nicht zu entscheiden, welcher der in den Wirtschaftswissenschaften zu einzelnen Aspekten des Ertragswertverfahrens vertretenen Auffassungen der Vorzug gebührt. Entscheidend ist im Spruchverfahren allein, dass eine nach § 287 Abs. 2 ZPO tragfähige Grundlage für die von dem Gericht vorzunehmende Schätzung des Anteilswerts geschaffen ist. Solche tragfähigen Grundlagen stellen alle Wertermittlungen dar, die auf in der Wirtschaftswissenschaft anerkannten und in der Bewertungspraxis gebräuchlichen Bewertungsmethoden sowie methodischen Einzelfallentscheidungen beruhen, und zwar unabhängig davon, ob die entsprechenden Auffassungen in der wissenschaftlichen Diskussion einhellig vertreten werden.
Normenkette
AktG §§ 304-305
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Beschluss vom 16.10.2012; Aktenzeichen 32 AktE 8/03 KfH) |
Tenor
1. Die sofortigen Beschwerden der Antragsteller Ziff. 3, 12, 14, 15, 16 und 19 gegen den Beschluss der 32. Kammer für Handelssachen des LG Stuttgart vom 16.10.2012 - 32 AktE 8/03 KfH - werden zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin Ziff. 1 trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens; die im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 200.000 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Gegenstand dieses Spruchverfahrens ist die gerichtliche Festsetzung einer angemessenen Barabfindung wegen des Ausscheidens der Minderheitsaktionäre, u.a. der Antragsteller, aus der Antragsgegnerin Ziff. 2 (im Folgenden: Y AG) in Folge der Übertragung ihrer Aktien an die Antragsgegnerin Ziff. 1 (im Folgenden: X AG) als Hauptaktionärin (sog. Squeeze-out; § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG).
I.1. Die Beschwerdeführer sind - wie die übrigen Antragsteller, die am Verfahren in erster Instanz beteiligt waren - Minderheitsaktionäre der Y AG.
Diese entstand im Jahr 1930 durch Zusammenschluss mehrerer Vorgängergesellschaften. Durch den Erwerb diverser Unternehmensbeteiligungen seit dem Jahr 1986 hat die Y AG neben dem angestammten Geschäftsfeld der Schuhproduktion und des Schuhhandels weitere Geschäftsfelder aufgebaut. Die Y AG ist die Muttergesellschaft der Y-Gruppe und fungiert seit 1999 als Holding-Gesellschaft, die den Immobilienbestand der Y-Gruppe betreut und zentrale Verwaltungsleistungen für die übrigen Unternehmen der Y-Gruppe erbringt.
Die Y-Gruppe umfasst vier Geschäftsfelder, nämlich
das Geschäftsfeld "Holding/lmmobilien" mit dem Tätigkeitsbereich der Verwaltung des Immobilienbestandes und der zentralen Verwaltungsleistungen für die übrigen Konzerngesellschaften, abgedeckt durch die Y AG, die Y V. GmbH, die R B. GmbH und die Y S. GmbH & Co. KG,
das Geschäftsfeld "Schuhe" mit den Tätigkeitsbereichen Schuhproduktion, abgedeckt durch die Y S. & T. C. GmbH, die YE. GmbH und die S. GmbH, sowie dem Tätigkeitsbereich Schuhhandel, abgedeckt durch die ... handelsgesellschaft GmbH, die F. S. AG, die Y F. S., die Y H. Kft., die Y P. sp. z. o. o. und die Y C. s.,
das Geschäftsfeld "Service" mit den Tätigkeitsbereichen Facility Management, Reinigung, Sicherheit, abgedeckt durch die G.-B.-Gruppe, dem Tätigkeitsbereich Parkraumbewirtschaftung, abgedeckt durch die A.-Gruppe, dem Tätigkeitsbereich Beschaffung von Hilfs- und Betriebsstoffen, abgedeckt durch die E. S. L. GmbH, dem Tätigkeitsbereich Objektsicherheit, abgedeckt durch die O. S. GmbH, sowie dem Tätigkeitsbereich Industrie- und Gebäudeinstandhaltung, abgedeckt durch die D. AG,
schließlich das Geschäftsfeld "Industrie" mit den Tätigkeitsbereichen Produktion und Vertrieb von Kunststoffen, Fensterprofilen, technischen Teilen und Lederfaserstoffen, abgedeckt durch die Y I.-P. GmbH, sowie dem Tätigkeitsbereich Vertrieb von Schuh- und Lederpflegemitteln, abgedeckt durch die M. GmbH.
Zwischen der Y AG und der S., der M., der OSD S., der Y V., der R., der A. AG sowie der E. S. and F. bestehen Gewinnnabführungsverträge.
Der Y-Konzern beschäftigte Mitte des Jahres 2002 rund 20.000 Mitarbeiter.
2. Durch Beschluss der Hauptversammlung der Y AG vom 11.9.2002 wurden die Aktien der Minderheitsaktionäre auf die Hauptaktionärin, die X AG, übertragen gegen eine Abfindung i.H.v. 22,71 EUR je Aktie der Y AG.
Grundlage dieser Barabfindung war eine von der A. Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (im Folgenden: Bewertungsgutachter) im Auftrag der X AG unter dem 19....