Leitsatz (amtlich)

1. Das Gericht hat nur dann nach § 327 f. Satz 2 AktG eine vom Angebot abweichende Abfindung zu bestimmen, wenn die angebotene Barabfindung unangemessen ist. Unangemessen ist die angebotene Abfindung aber nicht schon bei jeder Abweichung eines rechnerisch ermittelten Werts der Aktie vom angebotenen Betrag, sondern erst bei einer mehr als nur geringfügigen Abweichung.

2. Die Grenze, bis zu der eine Abweichung des nach fundamentalanalytischen Methoden ermittelten Werts vom Angebot noch als geringfügig anzusehen ist, kann zwar nicht für alle Fälle einheitlich bestimmt werden. Liegt die Abweichung bei einer solchen Ermittlung unter 10 %, ist sie aber jedenfalls dann noch als geringfügig anzusehen, wenn der Börsenkurs der Aktie bis zur Bekanntgabe des Abfindungsangebots deutlich unter dem angebotenen Betrag lag und während eines längeren Zeitraums stabil war. Der Börsenkurs bestätigt in solchen Fällen mindestens im Rahmen einer Kontrollüberlegung, dass der Verkehrswert nicht über der angebotenen Abfindung lag.

 

Normenkette

AktG § 327 f.; SpruchG

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Beschluss vom 30.01.2009; Aktenzeichen 32 O 2/06 KfH)

 

Tenor

1. Die sofortigen Beschwerden der Antragsteller Ziff. 1), 2), 24), 25), 26), 28), 30) und 36) gegen den Beschluss des LG Stuttgart vom 30.1.2009 - 32 AktE 2/06 KfH, werden zurückgewiesen.

2. Die Antragsgegnerin trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens; die im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 200.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Gegenstand dieses Spruchverfahrens ist die Bestimmung einer angemessenen Abfindung für die übrigen Aktionäre der W. Aktiengesellschaft mit Sitz in T. (im Folgenden W) nach § 327 f. Satz 2 AktG.

I.1. Die W ist im Bereich des Werkzeug- bzw. Maschinenbaus tätig.

a) Sie fungiert als Konzernobergesellschaft, die Beteiligungen an drei Tochterunternehmen im Inland und 20 Tochterunternehmen im Ausland hält. Ursprünglich gliederte sich das Unternehmen der W in die Geschäftsbereiche Maschinenbau (Maschinen), Hartmetallwerkzeuge (Werkzeuge) und Werkzeugverwaltungssoftware (Software).

b) Am 18.5.2003 verkaufte die W ihren Geschäftsbereich Maschinen nebst den zugehörigen Tochtergesellschaften an die K. S. GmbH. Nach Vollziehung des Kaufvertrages am 31.8.2004 erhielt sie einen Kaufpreis von 52,250 Mio. EUR, woraus im Geschäftsjahr 2004 ein außerordentlicher Ertrag von 12,5 Mio. EUR resultierte. Ebenfalls im Jahr 2004 erwarb die W sämtliche Anteile an der W. S.-Werkzeug AG in N.

c) Dem Geschäftsbereich Software kommt im Verhältnis zu dem verbliebenen Geschäftsbereich Werkzeuge sowohl in Bezug auf das gesamte Marktvolumen wie auch in Bezug auf die Umsatzerlöse nur eine geringe Bedeutung zu.

d) Das Grundkapital der W beträgt 12.782.297,03 EUR. Es ist eingeteilt in 5 Mio. auf den Inhaber lautende Stückaktien, wovon die W 259 423 als eigene Aktien hält. Am 29.10.2002 unterbreitete die Antragsgegnerin den übrigen Aktionären der W ein öffentliches Angebot zum Kauf ihrer Aktien in dessen Folge sie 94,37 % des Grundkapitals der W erwarb. Nach Hinzuerwerb weiterer Aktien wurden spätestens ab Dezember 2004 - unter Ausblendung der eigenen Aktien - alle Aktien bis auf 168 749 Stück (rund 3,56 %) von der Antragsgegnerin gehalten. Die Aktien der W wurden im amtlichen Handel an den Börsen in Frankfurt (General Standard) und Stuttgart, im Freiverkehr an den Börsen in Berlin-Bremen, Düsseldorf und München sowie auf XETRA gehandelt.

2. Die Antragsgegnerin verlangte im Dezember 2004 die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre nach §§ 327a ff. AktG (Squeeze-out). Die W hat dies durch ad-hoc-Mitteilung am 23.12.2004 bekannt gemacht. Eine bereits am 31.7.2003 bekannt gemachte Ausschlussabsicht war zuvor ausgesetzt worden.

3. In ihrem Bericht (Übertragungsbericht) vom 20.4.2005 (AG3) bot die Antragsgegnerin den übrigen Aktionären eine Abfindung i.H.v. 75,50 EUR je Aktie an. In dem Bericht der Hauptaktionärin war auf S. 21 ff. eine gutachterliche Stellungnahme der P. W. C. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PWC) vom 18.4.2005 zum Unternehmenswert der W (Unternehmenswertgutachten [GA], AG5) - mit geringen Auslassungen - im Wortlaut wieder gegeben; die Anlagen des Unternehmenswertgutachtens waren dem Übertragungsbericht beigefügt.

a) PWC ermittelte den Unternehmenswert der W anhand der Vorgaben der vom Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) aufgestellten Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S1) in der Fassung vom 9.12.2004 (im Folgenden IDW ES1 2004) im Ertragswertverfahren. Dabei gelangte PWC zu einem Ertragswert des betriebsnotwendigen Vermögens der W per 1.1.2005 i.H.v. 333,625 Mio. EUR, der nach Aufzinsung zum 15.6.2005 und Hinzurechnung überschüssiger Liquidität, nicht betriebsnotwendigen Grundvermögens sowie eines steuerlichen Sonderwerts einen Unternehmenswert von 357,379 Mio. EUR ergab, was 75,39 EUR je Aktie entspricht (GA S...

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