Leitsatz (amtlich)
Klagt eine Handelsgesellschaft oder im Falle ihrer Insolvenz der Insolvenzverwalter mit der Begründung, der Beklagte sei faktischer Geschäftsführer und hafte deshalb auf Ersatz der nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit getätigten Zahlungen, so wird ein Anspruch aus einem Rechtsverhältnis zwischen der Handelsgesellschaft und ihrem "Vorsteher" geltend gemacht; die Rechtsstreitigkeit ist eine Handelssache.
Verfahrensgang
LG Tübingen (Aktenzeichen 4 O 406/04, 21 O 142/04) |
Tenor
Zuständig ist die Kammer für Handelssachen des LG Tübingen.
Gründe
I. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Fa. S. Deren Alleingesellschafterin ist nach der Gesellschafterliste die Beklagte zu 1), die auch als Geschäftsführerin im Handelsregister eingetragen ist. Ihr Ehemann, der Beklagte zu 2), war nach dem Vorbringen des Klägers faktischer Geschäftsführer der Schuldnerin, weil er nach außen hin als ihr Geschäftsführer aufgetreten ist und sich auch so bezeichnet hat. Der Kläger nimmt die Beklagten nach § 64 Abs. 2 GmbHG auf Ersatz von Zahlungen in Anspruch, die nach dem in der Klageschrift behaupteten Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geleistet worden sein sollen. Der Kläger hat deshalb am 27.9.2004 eine Klageschrift beim LG Tübingen eingereicht und darin beantragt, die Sache vor der Kammer für Handelssachen zu verhandeln. Der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen hat am 29.9.2004 die Zustellung der Klage verfügt, die Parteien darauf hingewiesen, dass die Kammer für Handelssachen funktionell unzuständig sein dürfte, um Mitteilung gebeten, ob Verweisungsantrag gestellt werde, und darauf hingewiesen, dass auch eine Verweisung von Amts wegen in Betracht komme. Er hat eine Frist zur Stellungnahme bis 12.10.2004 gesetzt. Per Telefax vom 12.10.2004 haben die nicht anwaltlich vertretenen Beklagten u.a. mitgeteilt: "... eine Klage in oben genannter Angelegenheit weisen wir ausdrücklich zurück und verweisen auf die Möglichkeit gem. § 97 Abs. 1 GVG an die Zivilkammer." Mit Beschluss vom 12.10.2004 hat der Vorsitzende die Kammer für Handelssachen für funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an eine Zivilkammer des LG Tübingen verwiesen. Der Einzelrichter der Zivilkammer hat mit Verfügung vom 21.10.2004 seinerseits ausgeführt, dass die Zivilkammer nicht funktionell zuständig sei. Der Verweisungsbeschluss der Kammer für Handelssachen sei nicht bindend, weil ihm jede rechtliche Grundlage fehle und er objektiv willkürlich sei, so dass der Grundsatz des gesetzlichen Richters verletzt sei. Die von der Kammer für Handelssachen vorgenommene Auslegung des Begriffs "Vorsteher" sei nicht vertretbar und im Verweisungsbeschluss auch nicht begründet worden, die zitierte Kommentarstelle belege die dort vertretene Auffassung nicht. Außerdem sei das rechtliche Gehör nicht gewährt. Deshalb beabsichtige die Zivilkammer, sich für funktionell unzuständig zu erklären und die Sache dem OLG vorzulegen. Den Parteien wurde in der Verfügung eine Frist zur Stellungnahme bis 2.11.2004 eingeräumt. Mit Beschluss vom 8.11.2004 hat sich die Zivilkammer dann für funktionell unzuständig erklärt und die Sache gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. Ergänzend wird dort ausgeführt, Bedenken gegen die Bindungswirkung würden sich aus der Häufung von Verweisungsbeschlüssen dieser Kammer für Handelssachen mit zweifelhafter Begründung ergeben.
II. Zuständig ist die Kammer für Handelssachen.
1. Das OLG ist für die Entscheidung zuständig. Bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen einer Kammer für Handelssachen und einer Zivilkammer desselben Gerichts ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend anzuwenden (OLG Stuttgart v. 8.8.2002 - 1 W 28/02, OLGReport Stuttgart 2002, 455; v. 4.12.1998 - 13 AR 5/98, OLGReport Stuttgart 1999, 98; v. 15.1.2004 - 4 AR 4/04, OLGReport Celle 2004, 370; OLG Düsseldorf v. 12.2.2001 - 19 Sa 5/01, NJW-RR 2001, 1220; OLG Brandenburg v. 21.6.2000 - 1 AR 37/00, MDR 2000, 1029 = NJW-RR 2001, 429; Kissel/Mayer, GVG, 4. Aufl., § 94 Rz. 9).
2. Nach § 95 Abs. 1 Nr. 4a GVG ist die Kammer für Handelssachen zuständig.
a) Die Zivilkammer ist nicht bereits deshalb zuständig, weil sie durch den Verweisungsbeschluss des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen gem. § 102 GVG gebunden ist. Ausnahmen von der Bindungswirkung bestehen, wenn die Verweisung objektiv willkürlich ist und dadurch den Anspruch auf den gesetzlichen Richter verletzt oder wenn das rechtliche Gehör nicht gewährt wird (Kissel/Mayer, GVG, 4. Aufl., § 102 Rz. 5; Zöller/Gummer, ZPO, 24. Aufl., § 104 GVG Rz. 6 m.w.N.). Ob die Verweisung objektiv willkürlich ist, kann dahingestellt bleiben. Denn mit dem Verweisungsbeschluss wurde jedenfalls das rechtliche Gehör nicht gewährt. Der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen hat beiden Parteien eine Frist zur Stellungnahme bis 12.10.2004 gesetzt. Bereits am 12.10.2004, also vor Fristablauf, hat er den Verweisungsbeschluss erlassen.
b) Nach § 95 Abs. 1 Nr. 4a GVG liegt eine Handelssache vor, weil der Kläg...