Leitsatz (amtlich)
Im Falle eines Eigenantrags einer GmbH auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, der mit einem Verweisungsantrag wegen Verlegung der Abwicklungstätigkeit an einen vom Sitz der GmbH abweichenden Ort verknüpft ist, hat das Insolvenzgericht eingehende Ermittlungen anzustellen, ob nicht die Verweisung auf eine rechtsmissbräuchliche Zuständigkeitserschleichung hinausläuft.
Verfahrensgang
AG Berlin-Charlottenburg (Aktenzeichen 101 IN 4299/03) |
AG Rottweil (Aktenzeichen 1 (2) IN 132/03) |
Tenor
Das AG Rottweil wird zum zuständigen Insolvenzgericht bestimmt.
Gründe
I. Nach Übernahme aller Geschäftsanteile der Antragstellerin am 10.4.2003 hat sich der neue Alleingesellschafter – nach eigenem Vortrag – auf einer sofort einberufenen Gesellschafterversammlung zum alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer der Antragstellerin bestellt, deren Firma und den Unternehmensgegenstand geändert, den Betrieb am bisherigen Standort „völlig eingestellt” und gewerberechtlich abgemeldet, die dortigen Betriebsräume aufgegeben sowie den Mitarbeitern fristgerecht gekündigt; die Geschäftsunterlagen hat er nach Berlin verbracht, wo er unter der im Rubrum angegebenen Anschrift ein Büro angemietet hat, von dem aus die weitere Abwicklungstätigkeit unter Mitwirkung einer Wirtschaftsberatungsgesellschaft durchgeführt werden soll. Eine Verlegung des Sitzes der Antragstellerin hat nicht stattgefunden.
Unter dem 6.5.2003 hat der (neue) Geschäftsführer „zwecks Fristwahrung” beim AG Rottweil Insolvenzantrag über das Vermögen der Antragstellerin gestellt „mit dem gleichzeitigen Ersuchen, durch Beschluss eine Verweisung an das AG Charlottenburg – Insolvenzgericht – vorzunehmen”. Nähere Angaben zum Eröffnungsgrund enthält der Antrag nicht. Der Verweisungsantrag ist damit begründet, nicht nur er – der Geschäftsführer – habe seinen Wohnsitz in Berlin, sondern auch die Wirtschaftsberatungsgesellschaft S. GmbH, die mit der Prüfung von Sanierungsmöglichkeiten beauftragt sei, habe dort ihren Sitz; die nunmehr erforderliche Abwicklung, bestehend aus diversen aufgezählten Maßnahmen, erfolge ausschließlich von Berlin aus.
Das Insolvenzgericht Rottweil hat nach Erhebung von Handelsregisterauszug und Gesellschafterliste sowie der gewerberechtlichen Abmeldung am bisherigen Geschäftsort – auf Drängen der Antragstellerin (Schriftsatz vom 17.6.2003 Bl. 21 d.A.) – das Verfahren durch Beschluss vom 11.8.2003 (Bl. 24 d.A.) „auf Antrag der Schuldnerin an das gem. § 3 InsO zuständige AG – Insolvenzgericht – Charlottenburg verwiesen, da es sich bei der Geschäftsadresse in Berlin um den Ort der Abwicklungstätigkeit handeln soll”.
Durch Beschluss vom 15.9.2003 (Bl. 27–31) hat sich das AG (Berlin-)Charlottenburg für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO iVm § 4 InsO zur Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit dem OLG Stuttgart vorgelegt. Zur Begründung ist näher ausgeführt, dass nach den dort getroffenen Feststellungen in anderen Verfahren die angegebene Geschäftsadresse eine „Briefkastenanschrift” sei und dass es sich um einen Fall der sog. „gewerbsmäßigen Firmenbestattung” handle; die an sich gegebene Bindungswirkung der Verweisung nach § 281 ZPO greife hier – unabhängig von der Frage der Willkürlichkeit der Verweisung – schon deshalb nicht ein, weil die Antragstellerin den Normzweck des § 3 InsO verfehle; der Verweisungsantrag der Antragstellerin sei rechtsmissbräuchlich.
Die Antragstellerin hat im Rahmen des gewährten rechtlichen Gehörs mit Schriftsatz vom 21./22.10.2003 die vom AG Charlottenburg vertretene Ansicht als tatsächlich unzutreffend und rechtlich verfehlt angegriffen. Vielmehr sei in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die tatsächliche Verwaltung der Antragstellerin – und damit der Mittelpunkt ihrer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit – zwecks Prüfung einer eventuellen Sanierung und Durchführung der Abwicklungstätigkeit nach Berlin verlegt worden. Dort habe die Antragstellerin nicht nur einen Briefkasten, sondern auch ein Büro mit Telefonanschluss, ein entspr. Firmenschild und sachkundiges Personal; dadurch sei sichergestellt, dass Anfragen von Gläubigern, Gerichten u.a. ordnungsgemäß beantwortet und die noch erforderlichen Abwicklungsarbeiten unter Mitwirkung der genannten Wirtschaftsberatungsgesellschaft ordentlich durchgeführt würden; die sonstigen Geschäftsunterlagen stünden allen Interessenten an einem anderen Aufbewahrungsort – einer Spedition – in Berlin zur Einsichtnahme zur Verfügung. Eine solche Abwicklungstätigkeit sei nach verbreiteter und richtiger Ansicht eine „selbständige wirtschaftliche Tätigkeit” i.S.v. § 3 Abs. 1 S. 2 InsO; jedenfalls sei aber die Verweisung des AG Rottweil nach § 281 ZPO bindend, wie bereits in der vorliegenden Fallkonstellation von anderen Oberlandesgerichten entschieden worden sei. Hilfsweise wird die Vorlage an den BGH beantragt.
II.1. Die Vorlage des AG Charlottenburg ist zulässig. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung durch den Senat na...