Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer ohne Beschwerdebegründung eingelegten Beschwerde in einem HKÜ-Verfahren
Leitsatz (amtlich)
Eine Beschwerde in einem Verfahren über die Rückführung eines Kindes nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) ist nicht deshalb unzulässig, weil sie nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der amtsgerichtlichen Entscheidung begründet wurde. Zu den Voraussetzungen der Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ und Art. 13 Abs. 2 HKÜ.
Verfahrensgang
AG Stuttgart (Beschluss vom 12.05.2015; Aktenzeichen 28 F 783/15) |
Tenor
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des AG Stuttgart vom 12.5.2015, Aktenzeichen 28 F 783/15, wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Verfahrenswert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsteller möchte die Rückführung des gemeinsamen Kindes nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (HKÜ) nach Polen erreichen.
Antragsteller und Antragsgegnerin sind die verheirateten Eltern des Kindes N., geb. am ... N. ist in Polen aufgewachsen und dort zur Schule gegangen. Während des Sommers 2014 arbeitete die Antragsgegnerin wie schon häufig zuvor als Pflegekraft in Deutschland. Der Antragsteller stimmte zu, dass N. sich während der Sommerferien in Polen für zwei Monate bei der Antragsgegnerin in Deutschland aufhält. Nach der Rückkehr der Antragsgegnerin mit N. Ende August 2014 nach Polen zum Antragsteller trennten sich die Eltern. Ohne den Antragsteller vorab darüber zu informieren, zog die Antragsgegnerin mit N. am ... 2014 nach G. zu ihrem neuen Lebensgefährten, als sich der Antragsteller wegen eines auswärtigen Termins über das Wochenende nicht daheim aufhielt. N. wohnt seitdem dort und besucht die örtliche Schule. Zwischenzeitlich ist in Polen ein Scheidungs- und eine Sorgerechtsverfahren anhängig.
Das Bundesamt der Justiz leitete mit Antrag vom 10.4.2015 das vorliegende Rückführungsverfahren ein. Das AG bestellte N. einen Verfahrensbeistand.
Nach Anhörung von N. und Durchführung einer mündlichen Verhandlung verpflichtete das AG mit Beschluss vom 12.5.2015 die Antragsgegnerin, N. nach Polen zurückzuführen. Die Voraussetzungen nach Art. 12 Abs. 1 HKÜ lägen vor. N. habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt vor dem Verbringen in Polen gehabt. Die Eltern seien gemeinsam sorgeberechtigt, weshalb das Verbringen nach Deutschland widerrechtlich gewesen sei. Der Antragsteller habe der Verbringung nach Deutschland nicht zugestimmt. Weder sei durch die Rückführung eine schwerwiegende Gefahr für das körperliche und seelische Wohl von N. zu befürchten, noch widersetze sich das Kind einer Rückführung.
Gegen den am 20.5.2015 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 30.5.2015 Beschwerde eingelegt. Mit Verfügung vom 10.6.2015 wurde der Antragsgegnerin aufgegeben, die Beschwerde zu begründen. In der nochmals verlängerten Frist bringt die Antragsgegnerin vor, die Belange von N. seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Eine erneute Anhörung von N. würde ergeben, dass sie sich nachdrücklich weigern würde, nach Polen zurückzukehren, da sie zum Antragsteller nur eine rudimentäre Bindung habe. Der Antragsteller habe sich Anfang September 2014 gegenüber N. gleichgültig verhalten, was sich in der Folge, insbesondere durch die Ablehnung von Vergleichsvorschlägen beim AG, fortgesetzt habe. Auch bemühe er sich nicht ansatzweise um Kontakt mit N. Zudem sei N. in sozialen Netzwerken von ihren ehemaligen Klassenkameraden in Polen angefeindet worden.
Der Antragsteller hält die Beschwerde mangels rechtzeitiger Beschwerdebegründung bereits für unzulässig. Gewichtige Gründe, die gegen eine Rückführung sprechen würden, habe die Antragsgegnerin nicht vorgebracht. Es seien nur - ohnehin unzutreffende - Aspekte vorgetragen, die für ein Sorgerechtsverfahren relevant seien, nicht jedoch für ein Rückführungsverfahren.
Der Verfahrensbeistand im Beschwerdeverfahren hat über Gespräche mit N. und der Antragsgegnerin berichtet.
II. Die gem. § 40 Abs. 2 S. 1 IntFamRVG, § 58 Abs. 1 FamFG statthafte Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet, weshalb sie zurückzuweisen ist.
1. Die Beschwerde ist innerhalb der Frist von zwei Wochen gem. § 40 Abs. 2 S. 2 IntFamRVG eingelegt worden. Der Zulässigkeit nicht entgegen steht, dass die Beschwerde nicht gleichfalls innerhalb dieser Frist begründet wurde, was die Formulierung von § 40 Abs. 2 S. 2 IntFamRVG nahelegt, wonach die Beschwerde auch innerhalb von zwei Wochen zu begründen ist. Eine Begründung ist jedoch keine Zulässigkeitsvoraussetzung einer Beschwerde im HKÜ-Verfahren. Das ergibt sich aus der Verweisungsvorschrift des § 40 Abs. 2 S. 1 IntFamRVG. Denn § 40 Abs. 2 S. 1 IntFamRVG nimmt von der Verweisung auf die §§ 58 ff. FamFG den § 65 Abs. 2 FamFG aus, der die Möglichkeit einer Fristsetzung für die Beschwerdebegründung vorsieht. § 65 Abs. 1 FamFG greift hi...