Leitsatz (amtlich)
1. Eine Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 8 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/B 2002 muss erkennen lassen, auf welchen Grund sie gestützt wird. Wird die Kündigung ausdrücklich auf einen bestimmten Grund gestützt, ist die Beendigung des Vertragsverhältnisses allein auf diesen Grund beschränkt.
2. Kündigungsgründe können bis zum Beginn der Selbstvornahme nachgeschoben werden.
3. Bei der Ermittlung des vertraglich geschuldeten Leistungsumfangs ist grundsätzlich eine VOB/A-konforme Auslegung vorzunehmen, wenn ein öffentlicher Auftraggeber beteiligt ist. Dies bedeutet, dass in Zweifelsfällen der Auslegung der Vorzug zu geben ist, die der VOB/A entspricht
4. Der Auftraggeber muss dem Auftragnehmer nach einer Kündigung grundsätzlich Gelegenheit zur Nacherfüllung geben. Das Nachbesserungsrecht des Auftragnehmers entfällt, wenn er sich als so unzuverlässig erwiesen hat, dass der Auftragnehmer nicht mehr darauf vertrauen kann, von ihm eine mangelfreie Leistung zu erhalten. Dafür trägt der Auftraggeber die Darlegungs- und Beweislast.
5. Der Auftraggeber kann sich auf eine das Nachbesserungsrecht ausschließende Unzuverlässigkeit des Auftragnehmers in der Regel nicht berufen, wenn er selbst durch ein ihm zuzurechnendes Planungsverschulden an der Entstehung des Mangels mitgewirkt hat. Das Unterlassen eines Bedenkenhinweises führt dann allein nicht zu einer solchen Unzuverlässigkeit.
Normenkette
VOB/B 2002 § 4 Nr. 7; VOB/B (2002) § 5 Nr. 4, § 8 Nrn. 1, 3
Verfahrensgang
LG Tübingen (Urteil vom 16.05.2014; Aktenzeichen 7 O 429/08) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Tübingen vom 16.5.2014 - 7 O 429/08, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
a. Die Klage wird abgewiesen.
b. Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte 347.088,26 EUR nebst Jahreszinsen hieraus i.H.v. 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.8.2011 zu zahlen.
c. Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
3. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
4. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
5. Das Urteil erster Instanz ist, soweit die Berufung der Klägerin zurückgewiesen wurde, ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Das Berufungsurteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung aus dem Berufungsurteil durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
6. Die Revision wird nicht zugelassen.
Berufungsstreitwert: 658.892,55 EUR
(Berufung der Klägerin: 513.996,02 EUR
Berufung der Beklagten: 144.896,53 EUR)
Gründe
I. Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche wegen Mehrkosten durch eine Selbstvornahme sowie wegen einer Bauzeitverzögerung nach einem gekündigten Bauvertrag über Fensterbauarbeiten geltend; die Beklagte begehrt widerklagend die Zahlung von Werklohn für erbrachte und für nicht erbrachte Leistungen.
Die klagende Kommune, die eine neue Sporthalle errichtete, beauftragte die Beklagte nach vorangegangener öffentlicher Ausschreibung am 9.5.2006 in zwei Aufträgen sowie in einem Zusatzauftrag vom 26.10.2006 auf Grundlage des Angebots der Beklagten vom 26.3.2006 mit den Fensterbauarbeiten. Dabei vereinbarten die Parteien die Geltung der VOB/B. Wesentlicher Teil des Vertrags war die Errichtung der Glasfassade. Die Beklagte begann Ende 2006/Anfang 2007 mit den Fassadenarbeiten. Nachdem es Anfang März 2007 zunächst zu Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des Einbaus der Verglasung gekommen war, monierte die Klägerin Ende März 2007 nach Einschaltung eines Privatsachverständigen verschiedene Mängel. Mit Anwaltsschreiben vom 29.3.2007 forderte die Klägerin die Beklagte auf, bis zum 31.3.2007 die Absturzgefahr der vertikalen Verglasung oberhalb der Eingangsöffnung zu beseitigen. Zugleich forderte die Klägerin die Beklagte zur Beseitigung folgender, als gravierend bezeichneter Mängel bis zum 5.4.2007 auf:
- Im Eingangsbereich der Südfassade bestehe die Gefahr, dass die vertikale Verglasung oberhalb der Eingangsöffnung abzustützen drohe, da die vertikale Sicherung der Glasfassade nur mittels mangelhafter Punkthalterungen gehalten werde.
- Es fehlten prüffähige statische Nachweise der Pfosten-Riegel-Konstruktion sowie deren Kreuz- und T-Verbindungen. Diese Verbindungen seien mittels zwei Riffel-Rundholzdübeln formschlüssig verleimt. Der erforderliche Kraftschluss sei nicht vorhanden. Es bestehe die Gefahr des Abreitens und des Abscherens der vertikalen Holzkonstruktion. Riffel-Dübel aus Buche seien nicht zulässig.
Nach der vertraglichen Vereinbarung unter Ziff. 5.3 Statik und Ziff. 5.3.1 sei für jede Fassade ein prüffähiger statischer Nachweis für die Tragstruktur und deren Anbindung an den Rohbau geschuldet. Die Beklagte werde daher aufgefordert, prüffähige statisch...