Leitsatz (amtlich)
1. Die dem ersten Bürgermeister einer bayerischen Kommune in Art. 38 Abs. 1 BayGO eingeräumte Vertretungsmacht ist durch das Gesetz selbst wesentlich beschränkt. Sie ist abgesehen von den Ausnahmefällen des Art. 37 BayGO davon abhängig, dass ein entsprechender Gemeinderats- oder Ausschussbeschluss vorliegt (Anschluss an BayObLG, Urteil vom 24.4.1986 - RReg. 1 Z 32/86, NJW-RR 1986, 1080; OLG München, Beschluss vom 28.1.2013 - 34 Wx 390/12; BayVGH, Beschluss vom 31.8.2011 - 8 ZB 11.549 u.a.).
2. Der von einem ersten Bürgermeister ohne einen entsprechenden Gemeinderats- oder Ausschussbeschluss unterzeichnete Vertrag ist daher gemäß § 177 Abs. 1 BGB schwebend unwirksam und kann vom Gemeinderat genehmigt werden.
3. Im Zweifel will eine Kommune vergaberechtskonform der Teilnehmerin eines Vergabeverfahrens nach VOF den Auftrag erteilen und nicht einer am Vergabeverfahren nicht beteiligten juristischen Person, an der die Gesellschafter der erstplatzierten Teilnehmerin des Vergabeverfahrens ebenfalls beteiligt sind.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 164 Abs. 1, § 177 Abs. 1, § 242; BayGO Art. 29, 30 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, Art. 37 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Art. 38 Abs. 1; VOF
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 27.07.2015; Aktenzeichen 28 O 195/14) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Stuttgart vom 27.07.2015, Az. 28 O 195/14, abgeändert.
Die Zwischenfeststellungswiderklage der Beklagten wird abgewiesen.
2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
3. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 247.187,50 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein wirksamer Architektenvertrag zustande gekommen ist.
Die klagende bayerische Marktgemeinde fordert von der Beklagten gezahltes Architektenhonorar in Höhe von ungefähr 215.000,00 EUR aus ungerechtfertigter Bereicherung zurück. Die beklagte GmbH hat Widerklage auf Zahlung weiteren Architektenhonorars in Höhe von knapp 94.000,00 EUR erhoben und beantragt mit einer Zwischenfeststellungswiderklage die Feststellung, dass der Architektenvertrag vom 28.3.2012 wirksam zustande gekommen ist.
Der Kläger führte ein VOF-Verfahren für das Bauvorhaben "Generalsanierung GS und Bauamt X." durch. Hierfür bewarb sich das Architekturbüro "ab A + B. Freie Architekten", deren Gesellschafter die Gesellschafter-Geschäftsführer der Beklagten sind. Der Gemeinderat beschloss am 13.12.2011, den Auftrag "dem ab A und B " zu erteilen.
Der damalige (mittlerweile verstorbene) erste Bürgermeister des Klägers unterzeichnete am 28.3.2012 einen von der Beklagtenseite übersandten Architektenvertrag, in welchem die Beklagte als Auftragnehmerin ausgewiesen ist. Die Beklagte sandte den Vertrag nach Unterzeichnung an den Kläger. Am 30.7.2013 beschloss der Marktgemeinderat, den am 28.3.2012 vom ersten Bürgermeister unterzeichneten Architektenvertrag nicht im Nachhinein zu genehmigen. In der Zwischenzeit waren die Parteien bereits darüber in Streit geraten, welche Architektenleistungen erbracht worden sind und ob der Kläger zu beachtende Kostenvorstellungen mitgeteilt hatte.
Bezüglich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz einschließlich der Antragstellung erster Instanz wird auf den Tatbestand des angegriffenen Teilurteils des LG vom 27.7.2015 verwiesen.
Das LG hat mit dem Teilurteil festgestellt, dass der Architektenvertrag zwischen den Parteien vom 28.3.2012 wirksam zustande gekommen ist.
Der am 28.3.2012 vom damaligen ersten Bürgermeister unterzeichnete Architektenvertrag sei wirksam zustande gekommen. Dem Beschluss des Marktgemeinderats vom 13.12.2011 könne nicht entnommen werden, dass es ihm auf die Rechtsform des Wettbewerbssiegers angekommen sei und/oder dass der Beschluss eine GbR erfasst habe. Ungeachtet dessen gewähre Art. 38 Abs. 1 BayGO dem ersten Bürgermeister nicht lediglich ein Vertretungsrecht, sondern Vertretungsmacht. Aus Art. 37 BayGO folge nichts Gegenteiliges. Es sei strikt zwischen interner Willensbildung und externer Vertretungsbefugnis zu unterscheiden. Die in Art. 38 BayGO niedergelegte Außenvertretungskompetenz des ersten Bürgermeisters beinhalte - vorbehaltlich des Schriftformerfordernisses - auch dessen uneingeschränkte Vertretungsmacht zur Vornahme zivilrechtlicher Rechtsgeschäfte. Eine Vertretung der Gemeinde durch den ersten Bürgermeister sei nicht nur bei Wahrung der kommunalinternen Zuständigkeiten gewahrt. Vertragspartner der Gemeinde als außenstehende Dritte dürften aus Gründen der Rechtssicherheit nicht mit Risiken von ihnen nicht erkennbaren Fehlern im innerkommunalen Bereich belastet werden. Die Gemeinde benötige hingegen keinen besonderen Schutz. Die gegenteilige Rechtsauffassung des Klägers entspreche zwar der bisherigen bayerischen Rechtsprechung, werde jedoch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht bestätigt.
Der Marktgemeinderat habe jedenfalls das immerhin schwebende Rechtsgeschäft im Nachhinein genehmigt....