Leitsatz (amtlich)

Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) Anleihebedingungen Mehrheitsentscheidung Anlegerversammlung Anleger Kapitalrückgewähr Aktie an Erfüllungs statt Außerhalb des Anwendungsbereichs des nur für verbriefte Forderungen geltenden Schuldverschreibungs-gesetzes vom 31. Juli 2009 (SchVG; BGBl. I S. 2512) verstoßen Regelungen in Anleihebedingungen, die eine diese Bedingungen abändernde Mehrheitsentscheidung der Anleger mit Wirkung für alle Anleihegläubiger ermöglichen, gegen das in § 307 Abs. 1 BGB statuierte Verbot unangemessener Benachteiligung. Auf einer entsprechenden Grundlage gefasste Mehrheitsbeschlüsse von Anlegerversammlungen sind mangels wirksamer Legitimationsgrundlage unwirksam.

 

Normenkette

BGB § 307 Abs. 1, § 314 Abs. 3; HGB §§ 128, 161 Abs. 2; ZPO § 257

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 09.02.2018; Aktenzeichen 14 O 197/17)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 16.01.2020; Aktenzeichen IX ZR 351/18)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters der 14. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 9. Februar 2018 (14 O 197/17) teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, bezüglich der Anleihen des Klägers im Zusammenhang mit der NSV 1, mit der NSV 2 und mit der NSV 4 an den Kläger einen Betrag i.H. von 45.000,00 EUR nebst Zinsen i.H. von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 15.000,00 EUR seit dem 4. Juli 2017, aus weiteren 15.000,00 EUR seit dem 15. Juli 2017 sowie aus weiteren 15.000,00 EUR seit dem 16. Januar 2018 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, mit Ablauf des 14. Januar 2019 bezüglich der Anleihe des Klägers im Zusammenhang mit der NSV 6 an den Kläger einen Betrag i.H. von weiteren 15.000,00 EUR nebst Zinsen i.H. von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 15. Januar 2019 zu zahlen.

3. Die Beklagte wird zudem verurteilt, an den Kläger 1.416,00 EUR an außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen i.H. von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16. August 2017 zu bezahlen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen der Kläger 12 % und die Beklagte 88 %.

IV. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

V. Für die Beklagte wird die Revision gegen dieses Urteil zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wurde bereits mit Beschluss des Senats vom 28. Juni 2018 (GA II 127) auf 60.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückzahlung der von ihm für den Erwerb von - als "Namensschuldverschreibungen" bezeichneten - Unternehmensanleihen gezahlten Anlagebeträge, nachdem er jene Anleihen außerordentlich gekündigt hat.

Am 26. Juni 2013 hatte der Kläger Unternehmensanleihen der NSV 1, am 21. November 2013 Unternehmensanleihen der NSV 2, am 11. Juli 2014 Unternehmensanleihen der NSV 4 sowie am 9. Februar 2015 Unternehmensanleihen der NSV 6 gezeichnet, jeweils i.H. von 15.000,00 EUR zuzüglich 5 % Agio.

Die Beklagte ist die persönlich haftende Gesellschafterin der Emittentinnen NSV 1, NSV 2, NSV 4 und NSV 6, welche zwischenzeitlich - nachdem sie über kein Kapital mehr verfügten - liquidationslos aufgelöst und im April 2016 im Handelsregister gelöscht wurden (vgl. die Handelsregisterauszüge Anlagen K 5 bis K 8).

In den Zeichnungsscheinen der Unternehmensanleihen (Anlagen K 1 bis K 4) heißt es unter Ziff. 1. jeweils:

"Ich/Wir der/die Unterzeichnende(n) zeichne(n) und übernehme(n) hiermit die nachfolgend bezeichnete Namensschuldverschreibung (im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 5 VermAnlG) ohne Verbriefung der NSV 1 [bzw. 2, 4 oder 6]: ..."

In Ziff. 1 der jeweiligen Zeichnungsscheine hatte der Kläger außerdem jeweils als Treuhänderin die T... GmbH damit bevollmächtigt,

"... die von mir/uns unmittelbar gezeichnete Namensschuldverschreibung zu verwalten und sämtliche mit der Namensschuldverschreibung verbundenen Rechte und Pflichten in meinem/unserem Interesse und auf meine/unsere Rechnung wahrzunehmen. ...".

Den vorerwähnten Unternehmensanleihen lagen im Wesentlichen identische Anleihebedingungen zugrunde (Anlagen K 9 bis K 12), auf welche der Senat Bezug nimmt.

Diese lauten auszugsweise wie folgt:

"...

§ 8 Tranchen A und B; Kapitalrückgewähr

1. Bei Beendigung der Schuldverschreibungen nach § 13 erhält der Anleger die Kapitalrückgewähr.

2. Die Kapitalrückgewähr beläuft sich für den Anleger in Tranche A auf 100 Prozent des Beteiligungskapitals (ohne Agio).

3. ...

4. Die Kapitalrückgewähr nach § 8 Nr. 2 und 3 wird innerhalb von zwei Wochen nach dem Ende der Laufzeit der Schuldverschreibungen ausgezahlt. ..."

...

§ 13 Laufzeit der Schuldverschreibungen

Die Laufzeit der unkündbare...

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