Verfahrensgang

LG Hechingen (Urteil vom 29.07.2020; Aktenzeichen 3 O 67/19)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 02.05.2022; Aktenzeichen VIa ZR 122/21)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 29.07.2020, Az. 3 O 67/19, abgeändert:

(1) Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei in den Motor, Typ EA 189, des Fahrzeugs VW Golf 1.6 TDI (Fahrzeugidentifikationsnummer: Wxxx) eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfstandsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickoxidemissionsmesswerte reduziert werden, und die im Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, so dass es zu einem höheren NOxAusstoß führt.

(2) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt die Beklagte.

4. Das Urteil und - im Umfang der Zurückweisung - das in Ziff. 1 bezeichnete Urteil des Landgerichts Hechingen - sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages erbringt.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird für die Beklagte zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 21.267,01 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten im Berufungsverfahren um deliktische Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte vor dem Hintergrund des so genannten VW-Diesel-Abgasskandals.

1. Der Kläger erwarb am 02.09.2010 von der Beklagten einen neuen VW Golf Comfortline BlueMotion Technology 1,6 l TDI zum Kaufpreis von 21.267,01 EUR brutto (Anl. K1, Bl. 39 eAkte LG). Das Fahrzeug unterliegt der Abgasnorm Euro 5 A.

Die Motorsteuerung des Fahrzeugs war mit einer Software ausgestattet gewesen, die erkannt hatte, wenn das Fahrzeug auf einem Prüfstand den "Neuen Europäischen Fahrzyklus" (NEFZ) zur Ermittlung des Abgasausstoßes durchfuhr. (Nur) in diesem Fall wurde die Abgasrückführung erhöht und der Schadstoffausstoß, insbesondere von Stickoxiden (NOx), vermindert ("Modus 1"). Die gesetzlichen Grenzwerte wurden in diesem Modus eingehalten. Im regulären "Straßenbetrieb" war die erhöhte Abgasrückführung nicht aktiviert, der Schadstoffausstoß war höher ("Modus 0").

Das Kraftfahrtbundesamt hat die Beklagte verpflichtet, die Motorsteuerung der Fahrzeuge mit den Motoren EA 189 nach Euro 5 dahin anzupassen, dass eine Unterscheidung zwischen Prüfstandsmodus und Alltagsbetrieb entfällt. Der Kläger hat eine von der Beklagten zur Verfügung gestellte technische Maßnahme (Softwareupdate, ggf. mit technischen Anpassungen) an seinem Fahrzeug vornehmen lassen, durch welche die Motorsteuerung in einem adaptierten Modus betrieben wird.

Der Kläger hat vor Einreichung der hiesigen Klage die Beklagte beim Landgericht Hechingen (3 O 87/17) als Verkäuferin wegen desselben Fahrzeugs auf Nacherfüllung (Nachlieferung) in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 24.10.2018 abgewiesen, der Senat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 19.02.2020 (4 U 293/18) zurückgewiesen. Über die vom Senat zugelassene und vom Kläger eingelegte Revision gegen dieses Urteil (VIII ZR 45/20) ist vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden worden.

Am 23.04.2019 schloss sich der Kläger der beim OLG Braunschweig unter dem Aktenzeichen 4 MK 1/18 anhängig gewesenen Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte an, die Anmeldung nahm er am 19.09.2019 wieder zurück.

Mit der am 30.10.2019 beim Landgericht eingegangenen Klage, der Beklagten zugestellt am 19.11.2019, hat der Kläger Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten, Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und nur hilfsweise u.a. Zahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs verlangt. Er hat die Beklagte aus Deliktsrecht, insbesondere wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) für schadensersatzpflichtig gehalten.

Die Beklagte hat geltend gemacht, die Klage sei bereits wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig. Der Feststellungsantrag sei mangels Feststellungsinteresse unzulässig. Sie hat ihre Haftung auch in der Sache in Abrede gestellt. Schließlich hat sie die Einrede der Verjährung erhoben. Der Kläger habe bereits 2015 Kenntnis davon gehabt, dass sein Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen ist.

Für die Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens in erster Instanz einschließlich der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

2. Das Landgericht hat die Klage als zulässig angesehen und als unbegründet abgewiesen.

Eine anderweitige Rechtshängigkeit im Hinblick auf die Klage auf Nacher...

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