Entscheidungsstichwort (Thema)
Frachtvertrag: Ansprüche wegen Verlust und Beschädigung des Transportgutes
Leitsatz (amtlich)
Bei einem Transport mit einem Planenauflieger nach Oberitalien liegt auch ohne Kenntnis von Gegenstand und Wert des beförderten Gutes eine leichtfertige Missachtung der berechtigten Sicherheitsinteressen des Absenders vor, wenn der Fahrer über das Wochenende keinen bewachten Parkplatz anfährt, sondern stattdessen den beladenen Sattelzug auf öffentlicher Straße vor der beleuchteten und besetzten Pforte der Empfängerfirma in einem Gewerbegebiet abstellt, selbst wenn der Fahrer im Führerhaus übernachtet.
Normenkette
CMR Art. 3, 17, 29
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 17.06.2019; Aktenzeichen 44 O 96/18 KfH) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 17.06.2019, Az. 44 O 96/18 KfH, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens, einschließlich der Kosten der Streithelferinnen.
3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Stuttgart sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus diesen Urteilen jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin oder die Streithelferinnen vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 60.314,18 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatz- und Freistellungsansprüche nach dem teilweisen Warenverlust und der teilweisen Beschädigung von Transportgut im Rahmen eines Sammelguttransportes von K.-Heim nach Italien, den die Beklagte für die Klägerin durchführte (Anlage K2), geltend.
1. Die Klägerin war von der Streithelferin zu 1 mit dem Transport beauftragt worden (Anlage K7), welche ihrerseits von der R. B. GmbH mit dem Transport beauftragt worden war (Anlage K8). Warentransportversicherer der R. B. Gruppe ist die Streithelferin zu 2.
Der Fahrer der Beklagten übernahm am 16.11.2017 die Ware in K.-Heim. Als der Fahrer der Beklagten am 17.11.2017 gegen 19 Uhr bei der Firma C. E. in S. T., Italien, angekommen war, war die vorbenannte Firma bereits geschlossen. Der Fahrer der Beklagten stellte das Fahrzeug mit polnischem Kennzeichen und einem Auflieger mit deutscher Aufschrift über das Wochenende auf einem unbewachten Parkplatz vor der Firma ab. In der Nacht vom 18.11.2017 auf den 19.11.2017 wurde der im Lkw schlafende Fahrer mit einem Messer bedroht und ein Teil der Ware, nach Aufschlitzen der Lkw-Plane, entwendet.
Über die streitgegenständliche Beförderung wurde ein internationaler Frachtbrief ausgestellt (Anlage K1). Unter Ziffer 6-9 des Frachtbriefes wurden "59 Colli" aufgeführt, und handschriftlich, auf Italienisch unter Angabe der Lieferscheinnummer, sechs verloren gegangene Paletten und zehn beschädigte Paletten. Unter Ziffer 13 des Frachtbriefes, "Anweisungen des Absenders", ist eine handschriftliche Eintragung auf Polnisch vorhanden, wonach die Ware durch den Absender zum Transport verladen und gesichert worden sein soll. Unter Ziffer 18, "Vorbehalte des Frachtführers", ist eine weitere handschriftliche Eintragung auf Polnisch vorhanden, wonach der Fahrer nicht an der Verladung teilgenommen hat (Anlage K1).
In dem Transportauftrag an die Beklagte, der mit dem "Druckdatum 20.11.2017" versehen ist, ist als Entladetermin bei der Firma C. E. der 17.11.2017 von 8 Uhr bis 18 Uhr benannt (Anlage K2). Auf Seite 2 dieses Transportauftrags heißt es:
"Im Übrigen gelten für den Auftrag folgende allgemeine Bestimmungen:
(...)
Dieser Auftrag erfolgt auf der Basis der CMR-Bestimmungen (...)
Sie erfüllen alle durch ihren Versicherer auferlegten Obliegenheiten (bewachter Parkplatz, Diebstahlsicherungen etc.) ... Für grenzüberschreitende Transporte gelten die Bedingungen der CMR.
(...) Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus diesem Transportauftrag ist -burg."
Mit ihrer am 23.10.2018 zum Landgericht Stuttgart erhobenen Klage hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zur Zahlung in Höhe von 50.314,18 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem Basiszinssatz seit dem 20.11.2017 an sie zu verurteilen, und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von weiteren gegenwärtigen, künftigen, bekannten und unbekannten Schadensersatzansprüchen, die Dritte (insbesondere die P. W. (Deutschland) Gesellschaft mit beschränkter Haftung/R. B. Gesellschaft mit beschränkter Haftung) gegen die Klägerin aus dem Transport vom 16.11.2017 Tour ...60, Sendung ...32 und ...33, Frachtbrief vom 16.11.2017, Fahrt ...70 geltend machen, freizustellen.
Die Klägerin behauptete und vertrat erstinstanzlich die Auffassung, die internationale und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart ergebe sich bereits aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Transportauftrag, aber auch aus Art. 31 Abs. 1b ...