Leitsatz (amtlich)
1. Im Verhandlungsverfahren nach § 3b Nr. 1c) VOB/A darf der Bieter Modifikationen seines Angebots während der Bindefrist vorlegen, solange und soweit der Auftraggeber auf die Bindung hinsichtlich einzelner Punkte des Angebots verzichtet hat.
2. Der Verzicht auf die Bindungswirkung eines Teils des Angebots und dessen Modifikation können in einer Einigung des Auftraggebers und des Bieters in einer Verhandlung zusammenfallen.
3. Genügt dem Bieter die Reichweite des Verzichts des Auftraggebers auf die Bindungswirkung seines Angebots nicht, um ein modifiziertes Angebot abzugeben, wahrt er seine Interessen nicht, wenn er im vom Auftraggeber gewünschten Umfang ein modifiziertes Angebot abgibt und sich im Übrigen die Geltendmachung weiterer Ansprüche vorbehält.
4. Gegenstand des Zuschlags im Verhandlungsverfahren ist das Angebot in der Form der letzten Modifikation. Für die Bauausführung wesentliche Umstände wie z.B. Bauzeitverschiebungen, die zum Zeitpunkt der Abgabe der letzten Modifikation des Angebots im Verhandlungsverfahren eingetreten waren, rechtfertigen keine (analoge) Anwendung der Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage oder von § 2 Nr. 5 VOB/B.
Normenkette
BGB §§ 145, 147, 150 Abs. 2; VOB/A § 3b Nr. 1c, § 19 Nrn. 2, 4; VOB/B § 2 Nr. 5
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 23.05.2008; Aktenzeichen 34 O 17/08 KfH) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Stuttgart vom 23.5.2008 - 34 O 17/08 KfH, wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollsteckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 3.805.462,30 EUR.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt die Erstattung von Mehrkosten wegen Steigerung der Stahlpreiskosten zwischen Abgabe des Angebots bis zur Erteilung des Auftrags der Tieferlegung der Bahnhofanlage in Neu-Ulm.
Die Beklagte hatte das streitgegenständliche Baulos öffentlich europaweit ausgeschrieben. Es sollte eine EU-Vergabe nach VOB/A Abschnitt 4 im Verhandlungsverfahren stattfinden. Die Frist für die Einreichung der Angebote war auf den 19.9.2003, 10.00 Uhr bestimmt. Nach Ziff. 7 der Bewerbungsbedingungen durften Angebote bis zum Ablauf der Angebotsfrist zurückgezogen werden. Als Ende der Zuschlags- und Bindefrist wurde der 19.3.2004 angegeben.
Mit Schreiben vom 1.10.2003 reichte die Klägerin für die Bietergemeinschaft Z./M. ein Angebot ein, an das sich nach dessen Ziff. 3 die Bietergemeinschaft bis 6 Monate binden wollte. Dieser Teil des Angebots wurde von der Klägerin am 2.10.2003 unterzeichnet.
Es folgte am 11.11.2003 ein erstes Aufklärungsgespräch, in dem der Baubeginn auf Anfang Januar 2004 und die Fertigstellung der Leistungen bis 13.11.2007 festgelegt wurden. Als Folge dieses Gesprächs reichte die Bietergemeinschaft mit Schreiben vom 19.11.2003 ein entsprechend den Vorgaben der Beklagten überarbeitetes Angebot ein. Darin wurden die aktualisierten Bauablaufpläne bestätigt. Am 28.11.2003 fand ein zweites Aufklärungsgespräch statt, in dem dem Bieter die Möglichkeit gegeben wurde, bis 4.12.2003 sein Angebot hinsichtlich Nachlass und/oder Skonto zu korrigieren. Daraufhin erfolgte am 4.12.2003 eine Ergänzung des Angebots der Klägerin.
Am 22.12.2003 fand ein weiteres Gespräch statt, in dem mitgeteilt wurde, dass der Baubeginn am 19.1.2004 sein und voraussichtlich am 12.1.2004 die schriftliche Auftragserteilung stattfinden solle.
Aufgrund eines Vergabenachprüfungsverfahrens, das von einem Mitbewerber veranlasst wurde, verzögerten sich die Zuschlagserteilung und der Baubeginn. Es fand deshalb am 2.3.2004 zwischen den Parteien ein weiteres Gespräch statt, in dem vereinbart wurde, dass der geänderte Bauablaufplan der Firma Z. vom 27.2.2004 umgesetzt werden solle und dieser den bisherigen Bauablaufplan ersetzt. Hinsichtlich der durch den verschobenen Baubeginn und optimierten und geänderten Bauablaufplan zusätzlich anfallenden Kosten einigten sich die ARGE Z./M. und die Beklagte auf eine Pauschalvergütung von 250.000 EUR netto. Damit sollten laut Protokoll sämtliche Mehraufwendungen und zusätzliche Kosten der ARGE abgegolten sein, die ihre Ursache in dem verschobenen Baubeginn und den geänderten und optimierten Bauablauf zur Einhaltung der vorgenannten Termine anfallen mit Ausnahme von Massenänderungen und anderer, einzeln genannter Kosten (Ziff. 2 des Protokoll über die Besprechung vom 2.3.2004). Unter Ziff. 4 des Besprechungsprotokolls vom 2.3.2004 heißt es darüber hinaus: "Die ARGE macht darauf aufmerksam, dass durch die verzögerte Vergabe im Hinblick auf den ursprünglich vorgesehenen Baubeginn eine erhebliche Preiserhöhung im Bereich der Materialkosten Stahl eingetreten ist und kündig...