Leitsatz (amtlich)
1. Zur Verkehrssicherungspflicht zum Schutz des Patienten vor (Selbst-)Schädigung auf einer offenenStation eines psychiatrischen Krankenhauses (Verschließen von Fenstern und Türen wegen Selbstmordgefahr).
2. Abwägung des Sicherheitsgebots gegen Gesichtspunkte der Therapiegefährdung durch allzu strikte Verwahrung der Patienten
Normenkette
BGB § 834 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Frankenthal (Pfalz) (Aktenzeichen 8 O 676/98) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des LG Frankenthal (Pfalz) vom 21.1.1999 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 9.000 EuR abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin beansprucht Schmerzensgeld wegen Verletzungen, die sie bei einem Suizidversuch in dem von der Beklagten betriebenen psychiatrischen Krankenhaus erlitt.
Die Klägerin war bereits ab Ende Dezember 1992 für die Dauer von zwölf Wochen stationär in der Landesnervenklinik A. wegen einer paranoid-halluzinatorischen Psychose behandelt worden.
Am 22.11.1994 erschien die Klägerin mit der vom Hausarzt erstellten Einweisungsdiagnose „Psychose” in Begleitung zweier Verwandter im Krankenhaus der Beklagten. Die Frage der diensthabenden Krankenschwester nach einer Suizidgefährdung ließen die Verwandten offen. Die diensthabende Ärztin erhob die Anamnese und befasste sich ebenfalls mit einer Selbstmordgefahr für die Klägerin. Diese erklärte, früher Gedanken an Selbstmord gehabt zu haben, ihre Kinder stünden jedoch im Vordergrund. Einen Selbstmordversuch hatte die Klägerin bisher nicht unternommen. Die Klägerin wurde sodann in der offenen Station im dritten Stock aufgenommen. Dort waren in den Zimmern die Fenstergriffe entfernt, um ein Öffnen der Fenster durch die Patienten zu verhindern.
Die Klägerin wurde medikamentös versorgt. In der Nacht gegen 1.00 Uhr erschien die Klägerin bei der Nachtschwester und bat diese – wie schon um 20.30 Uhr – um Tee. Sie bejahte die Frage, ob sie ein Schlafmittel wolle. Die Nachtschwester holte zunächst das Teeglas aus dem Zimmer der Klägerin. Während dieser Zeit begab sich die Klägerin in den Aufenthaltsraum, der einen unverschlossenen Zugang zum Balkon hatte. Als die Schwester mit dem Teeglas in den Dienstraum zurückkehrte, um die Medikamente zu holen, sah sie durch die geöffnete Tür des Aufenthaltsraumes, dass die Klägerin die Balkontüre geöffnet hatte, sich kurz zu ihr umdrehte und über die Brüstung kletterte. Die Nachtschwester konnte einen Sturz der Klägerin aus 11 bis 12 Metern Höhe nicht mehr verhindern.
Wegen der erlittenen schweren Verletzungen hat die Klägerin die Beklagte im Wege der Teilklage auf Schmerzensgeld in Anspruch genommen.
Sie hat geltend gemacht, die Beklagte hafte ihr aus Organisationsverschulden, da der Aufenthaltsraum ohne großen Aufwand habe gesichert werden können. Nach dem Aufnahmestatus wäre auch ihre Unterbringung auf einer geschlossenen Station indiziert gewesen.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld von mindestens 40.000 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 5.8.1995 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die 8. Zivilkammer des LG Frankenthal (Pfalz) hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Vorhersehbarkeit einer selbstschädigenden Handlung der Klägerin die Klage abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe keine Verpflichtung bestanden, die Klägerin auf einer geschlossenen Station unterzubringen. Entgegen der Auffassung der Klägerin könne bei Aufnahme in eine offene Station nicht zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sein, dass eine Selbstschädigung nicht vorkomme.
Auf die Berufung der Klägerin hat der Senat durch Urteil vom 2.11.1999 (OLG Zweibrücken v. 2.11.1999 – 5 U 8/99, OLGReport Zweibrücken 2000, 313) das Urteil des LG geändert, die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Sache zur Durchführung des Betragsverfahrens in die erste Instanz zurückverwiesen.
Auf die Revision der Beklagten hat der 6. Zivilsenat des BGH durch Urteil vom 20.6.2000 (BGH v. 20.6.2000 – VI ZR 377/99, MDR 2000, 1376) das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den Senat zurückverwiesen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts könne aus Rechtsgründen in einer offenen Station eines psychiatrischen Krankenhauses ohne besondere Umstände nicht verlangt werden, alle Türen und Fenster verschlossen zu halten. Dem Träger eines psychiatrischen Krankenhauses obliege deliktsrechtlich auch eine Verkehrssicherungspflicht zum Schutze des Patienten vor einer Schädigung, die diesem wegen der Krankh...